: Schatten vor der Linse
■ Subtile Blickwinkel: Die italienische Fotografin Luciana Gilardoni stellt in der Grauwert Galerie aus
stellt in der Grauwert Galerie aus
Die Wirklichkeit beginnt, wo die Illusion aufhört. Diese Erkenntnis jedenfalls hat schon der alte Platon den Nachkommen mit seinem berühmten Höhlengleichnis zu diktieren versucht. Doch natürlich sind die vorübergeisternden Schatten, von den Gefangenen in der Platonschen Höhle zunächst für reale Existenzen gehalten, damit nicht aus der Welt. Die italienische Fotografin Luciana Gilardoni, deren Bilder das Altonaer Fabrik Foto Forum jetzt in der Grauwert Galerie zeigt, fängt sie gar mit der Kamera ein und ordnet sie in spannende Zusammenhänge.
Denn immer wieder fällt das Abbild mitten in die Wirklichkeit: Der weitverzweigte Schatten eines Baumes greift ins Bild, ein Straßenköter durchquert ihn, läuft auf die Kamera zu. In einem anderen Foto wird die Gestalt eines Mannes von einer ganzen Truppe von Schattengestalten auf seinem Weg entlang der Mauer begleitet. Im Brennpunkt des Bildgeschehens stehen dabei immer die Schatten, wer oder was sie wirft, wird dem Betrachter vorenthalten.
Luciana Gilardoni, 1955 in Como geboren, bannt in ihren Fotos das, was man vielleicht Straßenszenen nennen möchte: Flüchtige Augenblicke, zufällige Begegnungen und ausgesuchte Perspektiven in der Kulisse von Häusern, Autos, Geschäften und Cafes. Was ihren Bilder jedoch viel mehr als einen rein dokumentarischen Charakter verleiht, ist, neben Gilardonis „Schattenspielen“, eine Vielzahl anderer subtiler, oft überraschender Korrespondenzen.
So verfangen sich die spitzwinkligen Glasscherben einer zerbrochenen Scheibe im Bildvordergrund in den kegelförmig aufragenden Fabrikschloten im Hintergrund. Dann
wieder geht der Blick über einen massigen Baumstamm auf eine von Häusern umgebene Kirche - wie in einem Nest ruht das Stückchen Stadt in der Astgabel.
In einem anderen Foto steht eine junge Frau in einem Hauseingang, auf den Schultern trägt sie ein Kind. Ein dunkler Kreis auf der Wand hinter ihr umgibt ihren Kopf
und den des Kindes wie ein Heiligenschein - Madonna mit dem Kinde. Konstruiert wirken Luciana Gilardonis Fotos niemals, eher so als habe sie den Blick weit über die Grenzen der vermeintlich sichtbaren Realität hinausgerichtet. Mechthild Bausch
Grauwert Galerie, Telemannstr. 27, Mo.-Fr. 9-18 Uhr, bis 2.9.
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