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Acht Bären mit Hackebeilen

Das physisch stärkste Ruderboot aller Zeiten holt Bronze: Waren's die Blätter, die Konkurrenten?  ■ Von Matthias Mellinghaus

„Die verlieren nur, wenn sie absaufen“, war der einhellige Tenor zum deutschen Achter. Kein Wunder: In 48 Rennen — seit 1988 — war das Boot in wechselnden Besetzungen lediglich zweimal zu schlagen, in Seoul und bei den folgenden Weltmeisterschaften wurde stets Gold abgeholt. Und dann gestern: die komplette deutsche Funktionärselite und IOC reisen 140 Kilometer nach Banyoles, ganz sicher, mitjubeln zu können. Resultat: Bronze für den Achter, ein Königssturz.

Aus über 30 Aspiranten hatte sich Trainer Ralf Holtmeyer, der sich vom eher anarchisch-kritischen Typ zur in Ruderfragen keinen Widerspruch duldenden Überautorität gewandelt hat, sein „Dream-Team“ am Leistungsstützpunkt Dortmund zusammengestellt. Die bis dahin glasklaren Nominierungskriterien Zweierleistung und Mindestwert bei Ergometertests, verschwammen etwas zugunsten von Holtmeyers persönlichem Idealbild des unschlagbaren Achters. Dennoch hatte es ein physisch stärkeres Boot bis dato nicht gegeben.

Fast nur alte Hasen bekamen den Zuschlag: Armin Eichholz, Ansgar Wessling und der Seoul-Schlagmann Bahne Rabe als drei West-Olympiasieger von 1988, Hanns Sennewald und Detlef Kirchhoff als die personifizierte Ost-Rudererfahrung sowie Frank Richter und Thorsten Streppelhoff, beide Ex-Achterweltmeister unter Schlagmann Roland Baar, der das Boot auch diesmal führte.

Der Saisonverlauf bestätigte Holtmeyers Auswahl. Alle Rennen wurden planmäßig gewonnen, nur ein zweiter Platz störte. Die acht Kraftausdauerpakete überdeckten mit hohen Schlagzahlen und enormem Druck an den Ruderblättern leichte technische Mängel. Die Blätter waren es jedoch, die bei den olympischen Rennen Unsicherheit ins Boot brachten. Noch im Trainingslager in St.Moritz hatte Holtmeyer mit den neuentwickelten hackebeilförmigen Blättern experimentiert. Diese Blattform ist flächig größer und ermöglicht eine größere Kraftaufnahme im Wasser, verlangt aber, da ungewohnt, nach enormer rudertechnischer Finesse. Ein zu hohes Risiko, befand der Achter und gab der alten, symmetrischen Blattform den Vorzug.

Umso größer war der Schock, als die noch in Luzern klar geschlagenen Rumänen im Vorlauf mit ihren neuen Blättern mit fast einer Länge gewannen. Holtmeyer muß der Kopf geraucht haben, bis er schließlich Entscheidungen fällte, die seine verunsicherten, zu „Goldjungs“ vorverurteilten Ruderer psychologisch pushen sollten. Erstens bat er die preußisches Training Gewohnten zum gruppendynamischen Bier, zweitens beschloß er, die Hebelverhältnisse zu ändern und drittens entschied er — zur allgemeinen Verwunderung — „die Hackebeile“ zu nehmen.

Zunächst mit Erfolg: Sein Halbfinale gewann der Achter mit einer halben Länge gegen die USA und den zweiten Erzrivalen, Kanada. Im gestrigen Endlauf lagen die drei Favouriten Kanada, Rumänien und Deutschland, vom restlichen Feld schon abgesetzt, an der 500-m-Marke noch fast gleichauf. Schlagmann Roland Baar hatte von Beginn an versucht, mit astronomischer Schlagzahl dem restlichen Feld zu entfliehen, eine angesichts der großen Blätter riskante Taktik.

Die Effektivität der Spurts, die sich so von den „Normalschlägen“ nur noch gering unterscheiden, wird dadurch geschmälert. Statt beim traditionellen 1000-m-Spurt abzufallen, hielten die Rivalen nicht nur mit, sondern die Kanadier begannen, ihre leichte Führung mühsam, aber stetig auszubauen.

300 Meter vor dem Ziel: Rumänien und Deutschland peitschen sich im Endspurt gegenseitig hoch, es scheint, die mittlerweile fast eine halbe Länge führenden Kanadier seien noch einzuholen. Doch kurz vor Ende des Rennens fallen die Deutschen technisch auseinander, Rumänien läuft knapp hinter Kanada auf dem 2. Platz ein, für die Deutschen bleibt die Bronzemedaille. Eine herbe Enttäuschung für die Favoriten, deren Köpfe tief hingen: Recht gut hatten die acht mit Steuermann Manfred Klein und Trainer Holtmeyer die denkmalähnliche nationale everybody's darling-Rolle zuletzt angenommen und gespielt.

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