Ärzteschaft fürchtet Hungerkur

■ Deutschlands Kassenärzte sind nicht gewillt, des Bundesgesund-heitsministers Eingriffe in ihre Selbstverwaltung widerstandslos hinzunehmen. Für den Fall, daß Bonn diese Woche die "Malus"-Regelung nach...

Ärzteschaft fürchtet Hungerkur Deutschlands Kassenärzte sind nicht gewillt, des Bundesgesundheitsministers Eingriffe in ihre Selbstverwaltung widerstandslos hinzunehmen. Für den Fall, daß Bonn diese Woche die „Malus“Regelung — nach der Ärzten, die zuviel verschreiben, das Honorar gekürzt wird — beschließt, kündigt die Zunft „Aktionen“ an.

Die Kassenärzte gehen auf harten Konfrontationskurs zur Bundesregierung: Die von Bonn geplanten Reformen im Gesundheitswesen seien eine „Kriegserklärung“ an die Kassenärzte, sagte der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Ulrich Oesingmann, am Samstag bei einer außerordentlichen Vertreterversammlung der KBV in Köln. Dies würden die Ärzte nicht widerstandslos hinnehmen. Bislang hätten sie sich mit politischen Aktionen unter Einbeziehung der Patienten zurückgehalten. Das sei nun vorbei. „Ärzte sind nicht nur Kassenärzte, sie sind auch Wähler. Und Patienten sind nicht nur Versicherte, auch sie sind Wähler“, so Oesingmann.

„Seit Kriegsende hat es nicht mehr eine solche Unruhe unter den Ärzten gegeben“, sagte der zweite KBV- Vorsitzende Otfried Schaefer. Unter tosendem Beifall erklärte ein Delegierter: „Solche Schweinereien, wie diese Regierung uns bisher zugemutet hat, hat uns eine SPD-Regierung noch nicht zugemutet.“ Ärzte müßten nun ihre Patienten mobilisieren. Notwendig sei eine „Offensive in den Sprech- und Wartezimmern“.

Zahlreiche Delegierte warfen der KBV-Spitze einen bislang zu sanften Kurs gegenüber der Politik vor und forderten ein härteres Vorgehen. Es reiche nicht mehr, die Faust nur in der Tasche zu ballen, die Ärzte müßten handeln. Einen Streik der Ärzte „zu Lasten der Patienten“ lehnten die Delegierten der bundesweit 74.000 niedergelassenen Kassenärzte zunächst ab. „Wir können unsere Patienten nicht auf der Straße stehenlassen wie städtische Arbeiter die überquellenden Mülltonnen“, sagte Oesingmann. Er schloß jedoch streikähnliche Aktionen nicht aus. Immerhin wurden auf der KBV-Vertreterversammlung die Rückgabe der Kassenzulassungen sowie ein Boykott der Gesetzesvorhaben als Maßnahmen vorgeschlagen. „Wir warten nur noch auf den geeigneten Heerführer“, so ein Vertreter. Die Delegierten forderten die Regierung auf, die Gesetzesvorlage zurückzuziehen. Statt dessen solle in den nächsten zwei Jahren gemeinsam mit allen Beteiligten eine neue Vorlage erarbeitet werden. Unter dieser Bedingung seien die Ärzte bereit, einer auf drei Jahre befristeten Honorarentwicklung im Rahmen des Grundlohnanstieges zuzustimmen.

Pharmaindustrie soll Defizit ausgleichen

Die von Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) angedeutete Kompromißlösung im Streit um die Malus-Regelung — die eine Kürzung des Arzthonorars bei Überschreiten eines bestimmten Arzneimittelbudgets vorsieht — wurde von Sprechern als „Köder“ bewertet. „Das Malus- System ist der Beißknochen, den man uns hinwirft, um uns dann von hinten zu kastrieren“, sagte ein Delegierter. Entgegen den Forderungen Seehofers weigern sich die Kassenärzte, die vorgesehenen Einsparungen von 560 Millionen Mark zu garantieren. Auch eine Haftung der Ärzte für die Einsparungen über ein Gesamtbudget für die Arzneimittelausgaben wurde abgelehnt. Vielmehr solle die Pharmaindustrie ein mögliches Defizit ausgleichen. KBV-Vertreter räumten ein, daß mit dieser Haltung die Chancen auf einen Kompromiß im Streit um die Malus- Regelung schwinden.

Seehofer kündigte in einem Interview der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung an, daß in dieser Woche die Entscheidung fällt, ob es bei den Plänen der Koalition bleibt, Ärzten, die ihr Arzneimittelbudget überschreiten, das Honorar zu kürzen. Die Entscheidung könnte dahin gehen, ein gemeinsames Budget für alle Ärzte festzulegen. Werde dieses überschritten, müßten die Kassenärztlichen Vereinigungen das Defizit tragen, indem sie die Einnahmeverluste auf die einzelnen Ärzte umlegten. Am Sonntag bekräftigte Seehofer im Hessischen Rundfunk, er beharre weiterhin auf Einsparungen in Höhe von insgesamt 11,4 Milliarden Mark und auf der vorgesehenen Lastenverteilung. Es werde nicht geschehen, daß man vom Sparbeitrag etwa der Ärzte etwas wegnehme und die Versicherten zusätzlich belaste.

In scharfem Ton kritisierte in Köln auch der Präsident der Bundesärztekammer, Karsten Vilmar, die Sparpläne. Damit würde „eines der besten Gesundheitssysteme der Welt zugrunde gerichtet“, sagte Vilmar. Die sachgerechten Vorschläge der Ärzteschaft seien dagegen von der Politik seit Jahren „völlig in den Wind geschlagen worden“.

Der Geschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Rainer Braun, zeigte sich im Saarländischen Rundfunk „empört“ über die Maßnahmen, die gerade für kleinere Apotheken „ohne weiteres das Aus“ bedeuten könnten. Die Bundesregierung solle sich statt dessen verstärkt an den Kosten im Gesundheitswesen beteiligen und die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel von 14 auf 7 Prozent senken. Das würde die Ausgaben der Krankenkassen für Medikamente „schlagartig“ um 1,5 Milliarden Mark senken. Die Apotheker hätten bei der ersten Gesundheitsreform bereits weitreichende Vorleistungen erbracht. Die Reformpläne sehen unter anderem vor, die Herstellerabgabepreise für Medikamente ohne Festpreis um fünf Prozent zu senken und bis Ende 1994 festzuschreiben.

Der Vorsitzende der Kassenzahnärztlichen Vereinigung, Wilfried Schad, bezeichnete die geplante Senkung der Zahnarzthonorare für Regelleistungen als „einseitige Strafaktion“ gegen Zahnärzte. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung schreibt Schade, die Zahnärzte hätten schon in den vergangenen Jahren einen großen Sparbeitrag geleistet. Ihre Einkommen seien meist geringer gestiegen als der Durchschnitt aller Kosten und Löhne.

Im Gegensatz zum Lamento der Kassenärzte verlangte der Präsident der Berliner Ärztekammer, Ellis Huber, eine grundlegende Reform des Abrechnungswesens. Das gegenwärtige System sei unmenschlich und pervers, weil der Arzt etwas finden und behandeln müsse, um überhaupt zu verdienen. Als Alternative schlug er in der Berliner Sonntagspost eine „Mischung aus Stundenlohn und Patienten-Pauschale“ vor, die dem Arzt rund 180 Mark pro Stunde bringe und den Kassen ihren teuren Kontrollapparat erspare. dpa/taz