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Verfassungsklage gegen Polizeigesetz

Pastor Christian Arndt, Anwalt Gerd Strate und Polizist Manfred Mahr klagen in Karlsruhe gegen Lauschangriffe und Observation /  ■ »Berufsgeheimnisträger« sehen Eingriff in freie Berufsausübung

und Unverletzlichkeit der Wohnung

„Ich kann einen Teil meines Berufes nicht mehr ausüben, weil ich nicht sicher sein kann, ob ich in meinem Büro überhaupt noch vertrauliche Gespräche führen kann, oder ob ich von der Polizei belauscht werde.“ Der dies sagt, Pastor Christian Arndt, sieht sich deshalb in seinen Grundrechten beschränkt. Und auch Anwalt Gerd Strate muß nach den neuen Polizeigesetzen davon ausgehen, ins Visier der Polizei zu geraten: „Es ist naheliegend, daß auch ein Anwalt Opfer eines Lauschangriffs wird.“ Zusammen mit dem Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Kritischer PolizistInnen, Manfred Mahr, haben Arndt und Strate gegen das neue Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG) und das „Hamburgische Gesetz über die Datenverarbeitung bei der Polizei“ beim Karlsruher Bundesverfassungsgericht Klage eingereicht.

Wie berichtet, waren die SOG- Novelle und das Datenverarbeitungsgesetz im Mai vergangenen Jahres von der Bürgerschaft gegen die Stimmen der GAL verabschiedet worden. Am 1. August 1991 traten sie in Kraft. Mahr: „Die Abgeordneten waren sich nicht bewußt, was für eine Brisanz in diesem Gesetz steckt. Es ist ja in aller Heimlichkeit durchgesetzt worden.“ Die Gesetze legalisieren umfangreiche Datenerhebungen durch „Observation“ und „den Einsatz von V-Leuten, technischer Mittel sowie verdeckter Ermittler“.

Vor allem werde nach Auffassung der Kläger in unzulässiger Weise in ihre Schweigerechte als „Berufsgeheimnisträger“ eingegriffen. Denn die neuen Vorschriften ließen ausdrücklich auch Abhöraktionen und verdeckte Ermittlungen gegen „Kontakt- oder Begleitpersonen“ von mutmaßlichen Straftätern zu, wenn eine Gefahr für Leib, Leben oder die Freiheit einer Person besteht oder „wenn die Aufklärung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos wäre“, selbst dann, „wenn Dritte unvermeidbar betroffen sind“. Weil darüber aber allein die Polizei befinden kann, würde nach Meinung Mahrs den Fahndern eine unbegrenzte „Definitionsmacht“ anhand gegeben.

Wenn ein Straftäter bei einem Pastor oder Anwalt Rat suche, so die Kläger weiter, sei also nicht mehr garantiert, daß die Polizei nicht mithört. Denn nach der „polizeilichen Terminologie“ seien als „Kontakt- oder Begleitpersonen“ auch Berufsgeheimnisträger wie Strafverteidiger, Pastoren, Journalisten oder Ärzte gemeint. Strate: „Unter dem Blickwinkel der Gefahrenabwehr interessiert es die Polizeibehörden, was ein 'Störer‘ einem Geistlichen, Rechtsanwalt oder Arzt über bevorstehende oder stattgefundene Straftaten und damit Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung berichtet.“ Artikel 12 und 13 des Grundgesetzes garantieren jedoch ausdrücklich die freie Berufsausübung sowie die Unverletzlichkeit der Wohnung.

Manfred Mahr befürchtet hingegen, er könnte durch die neuen Polizeinormen genötig werden, als Schutzpolizist, der oftmals bei Einsätzen über das Vorstadium der Ermittlungen nicht informiert wird, an „verfassungsrechtlich bedenklichen“ Kripo-Einsätzen teilnehmen zu müssen.

Die Kläger halten es überdies für bekenklich, daß Lauschangriffe auch ohne richterliche Anordnung, allein durch Billigung des Polizeipräsidenten durchgeführt werden können — nur wenn der Verdacht eines Verdachts vorliegt. Selbst der Bundestag habe bei der Verabschiedung des „Gesetzes zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität“ bewußt auf die Möglichkeit von Lauschangriffen verzichtet, weil verfassungsrechtliche Bedenken bestanden hätten. Lauschangriffe seien nach Bonner Definition nur zulässig, wenn das Grundgesetz geändert werde. Strate: „Die gefährliche Situation ist, daß dieses Landesgesetz weiter geht als der Bundesgesetzgeber.“

1Daran ändere auch die Polizeipräsidenten-„Vorbehaltsklausel“ nichts. Zudem sei das Amt des Polizeipräsidenten im vergangenen Jahr nach der Ernennung von Dirk Reimers zum Staatsrat abgeschafft, seine Befugnisse dem Landespolizeidirektor Heinz Krappen übertragen worden — der im vergangenen Jahr durch das Landgericht wegen seines Mitwirkens am rechtswidrigen Hamburger Kessel schuldig gesprochen und zur Zahlung einer Geldbuße von rund 12000 Mark verurteilt worden war.

Strate, Mahr und Arndt sind zu-

1versichtlich, daß die Richter ihrer Klage stattgeben werden, daß „die Wohnung der Ort bleibt, der nicht für die Polizei zugänglich ist“, und daß ein „Lauschangriff nach dem Grundgesetz nicht zulässig ist“. Mit einer Entscheidung über die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde wird in zwei Monaten gerechnet, ein abschließendes Urteil wird allerdings nicht vor 1994 erwartet. Wenn die Verfassungsrichter der Klage stattgeben, müssen auch andere Bundesländer ihre Befugnisklauseln aus den Poliziegesetzen streichen. Kai von Appen

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