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Karlsruhe prüft Abtreibungsrecht

■ Das Verfassungsgericht entscheidet heute über die Klagen gegen die Neuregelung des Paragraphen 218 Eine einstweilige Anordnung scheint sicher/ Der Einigungsvertrag sorgt für Verfassungs-Wirrwarr

Karlsruhe (AP) — Das Bundesverfassungsgericht wird heute entscheiden, ob das jüngst vom Bundestag verabschiedete neue Abtreibungsrecht in Kraft tritt. 241 Abgeordnete der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und die bayerische Staatsregierung haben in Karlsruhe eine einstweilige Anordnung beantragt, die das Inkrafttreten des Gesetzes solange verhindern soll, bis das Verfassungsgericht inhaltlich über die Klagen gegen das Gesetz geurteilt hat.

Die Kläger halten das Gesetz, das den Schwangerschaftsabbruch nach einer Zwangsberatung in den ersten drei Schwangeschaftsmonaten straflos läßt, für verfassungswidrig. Es würde am 5.August in Kraft treten, wenn das Verfassungsgericht nicht eingreift. Dazu müßte der Zweite Senat, in dem Gerichtsvizepräsident Ernst Mahrenholz den Vorsitz führt, am heutigen Tag — an dem das neue Gesetz im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wird — bis spätestens um Mitternacht die einstweilige Anordnung verkünden.

Wie das Gericht auch entscheidet, es wird ein vefassungspolitisches Kuriosum. Der Freistaat Bayern hält auch die bis jetzt geltende Indikationenlösung in den alten Bundesländern für verfassungswidrig. Eine entsprechende Klage hat die bayerische Staatskanzlei bereits 1990 erhoben, über die bis heute nicht entschieden wurde. Das Gericht steht damit vor der absurden Situation, eine vermeintlich verfassungswidrige Regelung nicht in Kraft treten zu lassen, um die vermeintlich ebenfalls verfassungswidrige gegenwärtige Regelung weitergelten zu lassen.

Es wird aber noch komplizierter: In den neuen Bundesländern gilt laut Einigungsvertrag die alte, aus der DDR übernommene Fristenregelung solange weiter, bis eine gemeinsame Neuregelung geschaffen ist. Damit stellt sich die Frage: Soll das Gericht, sofern es denn die einstweilige Anordnung erläßt, das neue Recht nur in den alten Bundesländern aussetzen und in den neuen in Kraft treten lassen, wie es CDU/CSUJuristen meinen? Sie halten die neu beschlossene Fristenlösung mit Beratungspflicht für „verfassungsnäher“ ist als die reine Fristenlösung, die aus der Ex-DDR übernommen wurde.

Eine Teil-Inkraftsetzung ist aber wenig wahrscheinlich. Fast sicher erscheint, daß der achtköpfige Senat, dem mit Karin Graßhof nur eine Richterin angehört, die einstweilige Anordnung erläßt und damit der alte Rechtszustand in beiden Teilen Deutschlands weitergilt.

Da über den eigentlichen Gegenstand der Klage, die Verfassungsmäßigkeit der neuen Abtreibungsregelung, nicht verhandelt wird, dürfte die Anhörung nur wenige Stunden dauern.

Der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Horst Eylmann, hält es für „durchaus möglich“, daß die Verfassungsrichter das Inkrafttreten des neuen Gesetzes verhindern. Der CDU-Politiker, der für die Neuregelung des Paragraphen 218 gestimmt hat, nennt die Chancen für die beantragte einstweilige Anordnung 50 zu 50. Diese Entscheidung sei aber nicht richtungweisend für das spätere Urteil.

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