Schnell wie der gedopte Ben Johnson

Das dynamische Duo Jörg Roßkopf und Steffen Fetzner, Weltmeister von 1989, schrammte knapp am Tischtennis-Gold vorbei: Lu Lin und Wang Tao aus China gewannen das olympische Finale mit 26:24, 18:21, 21:18, 13:21, 21:14  ■ Aus Barcelona Michaela Schießl

Im Bahnhof-Nord ist die Hölle los. Mehre Hundertschaften Deutsche stampfen wild auf den Boden und gröhlen unablässig den gleichen einfältigen Satz: „Jetzt geht's lo-hos, jetzt geht's lo-hos, jetzt... “. Was da vor ihren Augen wieder losgehen soll, ist eine Beziehung, die zuletzt ähnlich aufgeregt verfolgt wurde wie die Liasons des Boris Becker. Nur, daß es sich nicht um eine dieser profanen Liebesgeschichten handelt. Der Fall ist viel ernster: Es geht um eine Männerfreundschaft, auch bekannt unter dem phantasievollen Pseudonym „die einzig wahre.“

Die ganz dicken Kumpels von einst, die 1989 in Dortmund durch den Gewinn der Doppel-Weltmeisterschaft das deutsche Tischtennis aus dem Dauerschlaf erweckt hatten, sind sie unübersehbar nicht mehr. Doch Jörg Roßkopf und Steffen Fetzner, einst die Musterknaben an der Platte, haben sich gefangen. Mehrere enttäuschende Plazierungen — Viertelfinal-Niederlagen bei der Welt- und Europameisterschaft — hatten zuvor verdeutlicht: Das Paar ist in der Krise. Doch lag es nicht an der Chemie zwischen den einst Unzertrennlichen. „Spielerisch waren sie gut, aber das Konzept hat nicht mehr gestimmt“, sagt Cheftrainerin Eva Jeler.

Beim Tischtennis, so erklärt sie, ist die Rollenverteilung weitgehend fest. Einer bereitet den Punkt vor, der andere vollstreckt. Beim 89er Team war die Belegung klar: „Speedy“ arbeitet für „Rossi“. Doch seither hat sich Steffen Fetzner als Einzelspieler enorm gesteigert. Mit der Wirkung, daß er nicht länger mehr nur der Wasserträger für Roßkopf sein wollte. „Speedy wollte auch mal glänzen“, sagt Verbandspräsident Wilhelm Gäb. Verständlich, doch das sensible Gefüge des Doppels war hin. „Das war nicht boshaft, doch auf einmal ging es nicht mehr“, erklärt Eva Jeler. Und schritt zur Seelenmassage. „Wir haben geredet und geredet und geredet. Dann ging's Anfang Juni vierzehn Tage ins Trainingslager nach Südkorea. Nun stimmt das Konzept wieder.“

Und es ist erfolgreich: Dort unten, in der umgebauten Bahnhofshalle von Barcelona, spielen Roßkopf und Fetzner, angetrieben von einer infernalisch lärmenden Fanschar, um olympisches Gold. „Sie haben ihre Rolle wiedergefunden, kämpfen wieder, sind eine Einheit, haben eine Vision“, überschlägt sich Verbandschef Gäb vor Begeisterung. Vor allem aber sind die Buben erwachsen geworden. Und gutverdienende Vollprofis, zu denen die Kosenamen Rossi und Speedy nicht mehr so recht passen wollen.

Fünf bis sechs Stunden intensives Training am Tag, eine Kondition wie die eines Mittelstrecklers und eine „Schnelligkeit wie die von Ben Johnson, gedopt“ (Jeler) sollten sich gestern in Gold auszahlen. Doch vieleicht waren die beiden zu siegesgewiß: „Wir waren sicher zu gewinnen“, sagte der überaus enttäuschte Fetzner nach dem dramatischen Finale gegen die chinesischen Vizeweltmeister Lin Lu und Tao Wang.

Fassungslos zog Eva Jeler ihren gesamten Mund auf die rechte Gesichtshälfte, als ihr Pärchen nach einer 20:15-Führung den ersten Satz mit 24:26 abgab. Zur Wiedergutmachung holten die beiden den nächsten von 12:18 auf und gewannen 21:18. Der dritte ging mit gleichem Ergebnis an die Chinesen, was von Roßkopf/Fetzner sofort schwer gerächt wurde. Sie gewannen Satz Nummer vier klar mit 21:13. „Sowas habe ich noch nie gesehen, so viel auf und ab, es geht um Millimeter. Die taktische Raffinesse dieses Spiels ist ungeheuer“, sprach eine schwer angespannte Eva Jeler.

Im fünften Satz verlor selbst Manager Gäb die Fassung, er sprang vom Stuhl auf und brüllte. Die Spitzenkraft der Deutschen Wirtschaft hatte tags zuvor schließlich geübt: Als das Halbfinale gewonnen war, tanzte das Aufsichtsratsmitglied von Opel, Vizepräsident von General Motors mit den grölenden Fans um Papi Roßkopf auf der Straße Ringelreihen und sang, die Hände über den Kopf schwenkend: „Rossi, Rossi, noch einmal, Rossi Rossi lalalalala.“

Nach Satz Nummer fünf wirkte er eher seriös. „Der Rossi hat unter seinen Möglichkeiten gespielt. Ganz offensichtlich hat er an der Verantwortung gelitten. Er konnte sich nicht frei machen. Das wird ihm wehtun, er ist so anspruchsvoll mit sich selbst.“ Eine Einschätzung, die Eva Jeler teilt. „Tischtennis ist eine psycho-physische Sportart. Wer sich im Finale nicht frei machen kann, tut sich schwer.“ Erklärungen, die wohl stimmen mögen, doch Jörg Roßkopf ist verärgert: „Die Experten stehen halt nicht am Tisch. Es ist schwierig und etwas ganz Besonderes, in einem olympischen Finale zu stehen.“ Das Problem war nicht mangelnde Lockerheit, sondern die geniale Shake- Hand-Spielweise von Tao Wang, mit dessen kurzen Bällen die Deutschen wenig anfangen konnten.

Auch Steffen Fetzner konnte seinen Ärger nicht unterdrücken. Mißmutig rang er seinem Gesicht einen halbwegs freundlichen Ausdruck ab. Und hofft: „Die Freude über Silber kommt morgen. Jetzt geh' ich lieber pinkeln.“