INTERVIEW: „Uns fehlt der Schlichter“
■ Mit Massenprotesten a la Leipzig wird der ANC die Regierung de Klerk nicht stürzen/ In Südafrika geht es um die Teilung der Macht
Tom Lodge ist Politikprofessor an der Witwatersrand Universität in Johannesburg, Experte für schwarze Widerstandsbewegungen in Südafrika, wichtigstes Buch: „Die Politik des schwarzen Widerstands in Südafrika seit 1945“ — Standardwerk für die Geschichte des schwarzen Protestes gegen Apartheid. Er arbeitet zur Zeit an einer Geschichte der südafrikanischen KP.
taz: Der ANC hat den Generalstreik und andere Protestaktionen damit begründet, die Regierung wolle angeblich nicht ernsthaft verhandeln. Was sagen Sie dazu?
Lodge: Teile der Verschwörungstheorie, die der ANC vorbringt, sind gültig. Die Regierung hat wirklich den Verhandlungsprozeß absichtlich verzögert. Zum Teil, um ihre eigenen Anhänger an das Abkommen zu gewöhnen, das sie am Verhandlungstisch dem ANC verkaufen will. Aber auch, weil sie glaubt, Zeit zu brauchen, um Organisationsstrukturen aufzubauen, die um Unterstützung unter Schwarzen werben können. Die Regierung glaubt auch, daß die Zeit gegen den ANC arbeitet.
Aber hat der ANC wirklich keine andere Möglichkeit als den Protest der Straße?
Es ist nicht falsch, daß der ANC Massenaktionen einsetzt, daß er nach anderen Mitteln sucht, um die Regierung unter Druck zu setzen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob er tatsächlich die Disziplin und die Organisationsstärke aufweist, die notwendig wäre, um eine andauernde Kampagne der Massenaktionen zu verwalten und zu führen, eine Kampagne, die genug Druck verursachen würde, um die Regierung zu beeindrucken.
Der Anstoß zu Massenaktionen kam ja nicht von den ANC-Unterhändlern in den Verhandlungsgesprächen. Er kam von Leuten, die sich Sorgen machten über die Stimmung unter gewöhnlichen ANC-Anhängern an der Basis. Sie haben vor Ort unter äußerst schwierigen Bedingungen zu arbeiten, die nicht zuletzt ein Folge der gegen ANC-Anhänger gerichteten politischen Gewalt sind. Gleichzeitig verfolgen sie die Verhandlungen und stellen fest, daß die politischen Veränderungen, die daraus fließen werden, ihre Schwierigkeiten vor Ort kaum reduzieren werden. Der ANC konnte sich der Flut des Unmuts an der Basis nicht mehr widersetzen.
Es gibt widersprüchliche ANC- Aussagen über das Ziel der Proteste. Die einen sehen sie als eine Art Begleitung zu Verhandlungen, andere sprechen von der „Leipzig Option“, von einer Protestwelle, die zum Sturz der Regierung führen könnte.
Das ist romantisch, das ist Unsinn. Südafrika ist ein Land, in dem die Regierung noch immer eine konzentrierte Macht gegen ihre Opponenten einsetzen kann, und zwar in einem Maß, das für die Regierungen in Osteuropa Ende der achtziger Jahre sehr schwierig geworden war.
Massenaktionen könnten aber ein sehr wertvolles Vorspiel sein zu den Aktionen, die der ANC organisieren müßte, um einen Wahlkampf zu führen. Und es ist richtig von der ANC- Führung, Massenaktionen als eine Begleitung zu Verhandlungen zu betrachten. Diese Art von Protestaktionen sind von entscheidender Bedeutung, um Verhandlungen in den Augen der ANC-Anhänger zu legitimieren. Letztendlich wird der ANC sich an seine Unterstützer wenden und sagen: „Hier ist das Abkommen, das wir im Verhandlungsprozeß erzielt haben, einem Prozeß, in dem ihr eine entscheidende Rolle gespielt habt. Das sollten wir als Sieg, nicht als Niederlage betrachten.“
Dennoch scheint der Verhandlungsprozeß in einer tiefen Krise zu stecken.
Es wäre unrealistisch zu glauben, daß die Regierung kampflos die Macht an den ANC abgibt. Und ich glaube, daß der Verhandlungsprozeß im Staatsapparat, im Kabinett, unter Beamten, in der Polizei enorme Spannungen verursacht hat. Für die Führung wird es immer schwieriger, diese Spannungen zu kontrollieren. In ihren Kontakten mit der Öffentlichkeit beginnt die Regierung, zu zerfallen. Es ist ein Zerfall der normalen Regierungsfunktionen, einer früher routinierten Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung.
Ich glaube, es gibt auch eine stillschweigende Einstellung zur Gewalt, daß man sich sagt: „Na ja, wir mögen das nicht besonders, aber es benachteiligt den ANC.“ Ich glaube, sie sind nicht besonders interessiert daran, ihre eigenen Mittel auszugeben und eigene Leute in Gefahr zu bringen, um die Gewalt zu beenden. Aber das ist eine sehr riskante Strategie.
Ich glaube jedoch nicht, daß die Regierung Gewalttaten anzettelt. Andererseits ist es gut möglich, daß es Leute in der Regierung gibt, die gegen Verhandlungen sind, die sie untergraben wollen, die soviel Chaos wie möglich stiften wollen in der Hoffnung, daß das derzeitige Regime in eine repressivere, weniger reformistische Richtung gedrängt werden könnte.
Aber gibt es denn eine Alternative zu Verhandlungen?
Nein. Beide Seiten haben keine andere Wahl. Es würde mich überraschen, wenn der Prozeß in Zukunft nicht noch einmal zusammenbricht, mit einer ähnlichen Krisenstimmung. Aber es wird ein Abkommen geben. Letztendlich wird der ANC Kompromisse machen müssen. Die Leute um Nelson Mandela wissen, daß sie eine Verfassung nicht einseitig, nur nach ihren eigenen Vorstellungen oder Wünschen bestimmen werden können. Deshalb ist es sehr wichtig, daß die Bevölkerung den Eindruck hat, an diesem Prozeß mitgewirkt zu haben.
Viele Kommentatoren sprachen die letzten Tage von einer absolut entscheidenden Situation. Entweder schafften es die Opponenten zurück zum Verhandlungstisch, oder aber es drohe Anarchie...
Ich denke nicht, daß wir uns in einer solchen Situation befinden. Die südafrikanische Geschichte ist voller solcher finaler Wendepunkte, und doch kam nie die Wendung. Wir befinden uns in einer heiklen und schwierigen Situation, in der noch mehr Gewalt wahrscheinlich sein wird. Die Verhandlungen wieder aufzunehmen wird lange dauern und viel Arbeit auf beiden Seiten fordern. Aber es gibt auf beiden Seiten die Entschlossenheit, sie wieder aufzunehmen. Die Regierung ist in der Hinsicht schuld, als sie zu viel mit den Verhandlungen herumspielte. Aber das Bekenntnis zu Verhandlungen ist trotz aller taktischer Manöver sehr stark bei ihr verankert. Die wirtschaftliche Situation ist so gravierend, die Schwierigkeiten, effektiv zu regieren, sind derart groß, daß Regierungsstrategen davon überzeugt sind, eine Teilung der Macht sei von fundamentaler Bedeutung. Sie werden sich nur noch mehr Gedanken darüber machen müssen, was sie unter Teilung der Macht verstehen. Auch der ANC will keine Teilung der Macht, und auch er wird seinen Mehrheitsbegriff neu definieren müssen. Es wird letztendlich eine Machtteilung geben. Der ANC weiß, daß er die Regierung nicht durch einen bewaffneten Kampf stürzen kann. Und er wird erkennen, daß er nicht die Kraft hat, durch Massenaktionen eine Auflösung der Regierung zu erreichen.
Welche Rolle spielt bei der Suche nach Wegen aus der Krise die internationale Gemeinschaft?
De Klerk hat immer wieder betont, daß Südafrika souverän sei, kein Regime wie Rhodesien oder nicht in kolonialer Abwicklung wie Namibia. Deswegen war er bisher gegen eine internationale Überwachung der Polizei. Wir brauchen aber dringend eine solche Kontrolle. Was vielleicht realistischer und ebenso wichtig ist, wäre eine internationale Partizipation bei den Verhandlungen selbst. Eines der zentralsten Probleme ist ja, daß es niemanden gibt, der ehrlicher und unparteiischer Vermittler zwischen den Opponenten ist, besonders dann, wenn die Gespräche stocken. Was in Südafrika geschieht, unterscheidet sich sehr von allen anderen Friedensverhandlungen, weil es keinen Schlichter und Vermittler von außen gibt. Es war vorhersehbar, daß die Verhandlungen von CODESA zusammenbrechen mußten. Interview: Hans Brandt
Johannesburg
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