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Wertvoller Abfall aus Schrottautos

Die französischen Automobilhersteller Peugeot und Citroän präsentieren ein neues Recyclingverfahren  ■ Von Anne Rotthaus

Die Ziele sind längst definiert und erkannt, die Wege aber umstritten oder noch gar nicht gebahnt: Die umweltverträgliche Entsorgung von Altautos ist eine Herausforderung für die Industrie. Über 12 Millionen Autowracks wandern in Europa jährlich auf die Schrotthalden, allein in der BRD sind es über zwei Millionen. Dort gammeln sie vor sich hin — ein wertvolles, aber weitgehend ungenutztes Rohstofflager. Die französischen Autohersteller Citroän und Peugeot haben jetzt ein Verfahren entwickelt, die Altautos nahezu restlos und umweltfreundlich zu recyceln — das behaupten sie jedenfalls. Die Schrottmühlen sollen zerlegt, sortiert und die brauchbaren Komponenten wiederverwertet werden. Der nicht recyclingfähige Rest wandert als Brennstoff in Zementöfen.

Bundesumweltminister Töpfer will die Autohersteller ab Januar 1994 per Gesetz dazu zwingen, ausgediente Vehikel zurückzunehmen. Und die EG hat Pläne erarbeitet, mit denen der Autoindustrie vorgeschrieben werden soll, daß mindestens 50 Prozent der verwendeten Kunststoffe recycelbar sein müssen. Doch für die Verwertung der Altautos gibt es bislang wenig überzeugende Ansätze. Am ehesten läßt sich noch der Metallschrott mit Magneten vom Rest der Vehikelmaterialien trennen. Probleme bereiten aber die verschiedenen Kunststoffe. Mit dem neuen, patentierten „Valerco“-Verfahren, das eine Trennung dieser Stoffe ermöglicht, wollen Peugeot und Citroän nun die Marktlücke der Altwagenentsorgung erobern.

Mit ihrem Verfahren könnten Autos bis auf den letzten Rest so rückstandsfrei verwertet werden, daß kein Gramm der Oldtimer die Deponien belastet, propagieren die Hersteller in einer Pressemitteilung. Seit längerem können Peugeot- und Citroän-Fahrer ihre ausgedienten Schrottkübel beim Händler abgeben, von wo aus sie auf eine zentrale Sammeldeponie gebracht werden. Ab 1993 wollen die Franzosen auch alte Wagen aus Deutschland mit ihrem Konzept „Null Deponieabfall“ entsorgen.

Derzeit wird in einer Pilotanlage bei Lyon das Verfahren getestet. Dort werden täglich 16 Schrottautos demontiert und trockengelegt, das heißt zunächst von allen Flüssigkeiten wie Öl, Kühlwasser und Schmierfetten befreit. Ein Großteil dieser Stoffe kann aufbereitet und wiederverwendet werden. Der Rest wird auf Sondermülldeponien verfrachtet oder verbrannt — was dann damit passiert, findet bisher keine weitere Beachtung. Die demontierten Sitze werden so bearbeitet, daß sie als Isoliermaterial für Neuwagen genutzt werden können. Die Reifen kommen ebenfalls runter — sie werden runderneuert und weiterverkauft. Sind sie nicht mehr zu gebrauchen, werden sie mechanisch-physikalisch „veredelt“ und als Straßenbelag verwendet. Austauschaggregate wie Getriebe, Lichtmaschinen oder Anlasser bereiten die jeweiligen Zulieferbetriebe wieder auf. Aus den Katalysatoren werden Edelmetalle wie Platin und Rhodium zurückgewonnen.

Die ausgeschlachteten Citroäns und Peugeots werden im nahe gelegenen Saint-Pierre-de-Chandieu geshreddert. Die südfranzösische Anlage soll im Endausbau jährlich 120.000 Vehikel zerkleinern. Sie verwandelt die Schrottautos innerhalb weniger Sekunden in faustgroße Teile, ein Gemisch aus Metallen, Glas, Restkunststoffen und anderen Materialien. In Sortieranlagen fischen Magnete die Eisenteile heraus, die rund 75 Prozent des Materials ausmachen. Die Nichtmetalle werden in verschiedenen chemisch-physikalischen Schritten getrennt. Die verbleibenden Shredderrückstände, die bisher nicht weiter verwertet werden konnten, bestehen zum größten Teil aus den unterschiedlichen Kunststoffen. Sie werden mit Hilfe des Valerco-Verfahrens noch einmal getrennt. Diese Methode funktioniert auf der Grundlage der spezifischen Gewichte sowie verschiedenen Dichten der Kunststoffe. Danach können die Kunststoffarten, vorwiegend Polymere, Thermoplaste und Thermodure, einzeln weiterverarbeitet und anschließend als Komponenten für Neuwagen wieder zum Einsatz kommen. Die thermoplastischen Tanks alter Autos werden bespielsweise zu Radzierkappen, Thermodure als Füllstoffe und Verstärkungsmittel in neuen Autos eingesetzt. Nach dieser Prozedur bleibt nur noch ein kleiner Rest untrennbarer Materialien übrig. Er wandert in die Zementöfen der ebenfalls französischen Firma VICAT. Dort wird er nach Aussagen der Firma bei 1.500 Grad Celsius so gecrackt, daß die Emissionen die Umwelt nicht belasten. Elektrofilter reinigen die Rauchgase; die verbleibende Asche wird dem Zement beigemengt.

„Der gesamt Deponierest der jährlich in Europa anfallenden Altfahrzeuge könnte schon heute in Zementfabriken genutzt werden. Auf die Weise werden zudem fossile Energieträger wie Erdöl und Kohle eingespart“, erklären die Initiatoren. Sie planen, in den nächsten Jahren noch weitere Recycling-Anlagen in Betrieb zu nehmen. Eine größere Anlage zur Demontage und Trockenlegung der Autos — ihre Kapazität liegt immerhin bereits bei 200 Wagen täglich — wird derzeit bei Paris in Betrieb genommen.

Bisher liegen noch keine Meßwerte von unabhängigen Recycling- Experten vor, die die Behauptungen der Hersteller stützen oder widerlegen. Joachim Lohse vom Ökopol-Institut in Hamburg sieht grundsätzlich ein Problem in der Tatsache, daß die Emissionsgrenzwerte für Zementwerke fünf- bis achtfach höher liegen als die von Müllverbrennungsanlagen. Auch ihre Überwachung ist wesentlich schwieriger. Der Sonderabfall wird den normalen Brennstoffen zugefügt, also quasi verdünnt. Die Menge der ausgestoßenen Gifte ist dann so gering, daß sie meßtechnisch schwer festzustellen sind. Unberücksichtigt bleibt auch, wie die vom Elektrofilter zurückgehaltenen Gifte, speziell die bei der Verbrennung entstehenden Dioxine, ihrerseits wiederum entsorgt werden und ob die Verschleppung der Asche in den Zement tatsächlich ungefährlich ist.

Thomas Rummler vom Bundesumweltministerium in Bonn, der gerade von einer Besichtigung aus Lyon zurückgekehrt ist, hält das Verfahren der Franzosen für „einen Schritt in die richtige Richtung“. Eigentlich sei es die Zielsetzung seines Ministeriums, eine bessere stoffliche Verwertung der Altautos zu erreichen. Dies bedeute, die Bauteile ganz oder zerlegt, das heißt ungecrackt, wiederzuverwenden. Doch dafür existieren bislang keine geeigneten Technologien. Das Interesse der Industrie an Recyclingverfahren ist relativ neu und dementsprechend noch nicht sonderlich weit entwickelt. „Besonders im Bereich Gummi, Glas und Kunststoff brauchen wir dringend neue Verfahren“, so Rummler.

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