: Eine WAA für deutschen Atommüll leckte
■ Im schottischen Dounreay verschwand Uran/ Deutsche Forschungsreaktoren und der Brüterkern Kalkar sollen dort entsorgt werden
Berlin (taz) — In der Atomfabrik Dounreay an der schottischen Nordküste sind 1991 unter den Augen der Euratom mehrere Kilo hochangereichertes Uran verschwunden. Das berichteten schottische Atomkraftgegner der Northern European Nuclear Information Group (NENIG) der taz. Rund drei Kilo angereichertes Uran seien in die Nordsee abgekippt worden. NENIG beruft sich auf Berichte für die EG-Kommission und das Europaparlament. Nach diesen Berichten durfte die Anlage weiterlaufen, obwohl durch einen Konstruktionsfehler strahlendes Material unbemerkt entweichen konnte, und obwohl nationale und internationale Behörden von den ernsten Sicherheitsproblemen wußten.
Erst im Dezember 1991 machte das Werk einen „plötzlich“ aufgetretenen Verlust von rund zehn Kilo Uran öffentlich und schloß die Pforten für einige Monate. Die Öffentlichkeit sei verschaukelt worden, so NENIG-Sprecher Chris Bunyan. Das Fehlen des angereicherten Urans sei „als einmaliger Zwischenfall dargestellt worden“, dabei hätten die Betreiber monatelang die Probleme der Anlage verschwiegen.
Die Vorgänge in der WAA Dounreay weisen auf die Achillesferse der bundesdeutschen Atomindustrie: die ungelöste Atommüllfrage. In der Anlage Dounreay entsorgen das bundeseigene Hahn-Meitner-Institut in Berlin und die Physikalische Technische Bundesanstalt in Braunschweig hochangereicherten Atommüll aus ihren Forschungsreaktoren. Auch der Brennstoffkern des nie in Betrieb gegangenen Schnellen Brüters in Kalkar soll in Dounreay weiterverarbeitet werden. Zwei Drittel des Kerns gehören dem Stromgiganten RWE und warten in Hanau auf ihren Transport nach Schottland. Eine Exportgenehmigung für die strahlende Fracht liegt seit Monaten vor. Das Bundesumweltministerium schloß gestern Konsequenzen aus dem Bericht ausdrücklich aus.
Zur Vorgeschichte: 1990 hatten die Betreiber von Dounreay eine der Anlagen auf dem WAA-Gelände modernisiert, um für die Verarbeitung hochangereicherten Urans besser gerüstet zu sein. Bei dieser Modernisierung hatte der staatliche britische Betreiber AEA offenbar einen schweren Konstruktionsfehler begangen. Jedenfalls nahm der Schwund an hochangereichertem Uran in der WAA Dounreay 1991 rapide zu. Nur der Öffentlichkeit wurde das Leck in der Atomfabrik konsequent verheimlicht.
In einem Bericht für die EG-Kommission vom April dieses Jahres heißt es, im Laufe des Jahres 1991 sei die Betriebsleitung in Dounreay immer besorgter über ihre nukleare Buchhaltung geworden. Schon im März 1991 hätten Euratom-Inspektoren den Betrieb „auf Mängel in der Buchhaltung und auf nicht festgehaltene Verschiebungen von Atommaterial aufmerksam gemacht“. Im August 1991 wurden dann einige Veränderungen an der betroffenen Anlage D1203 vorgenommen, trotzdem ging der Schwund weiter. Einer Untersuchungskommission des EG- Parlaments erzählten die Betreiber noch im November 1991, daß die im August getroffenen Maßnahmen „nicht vollständig wirksam“ gewesen seien. Kommentar des EG-Parlamentariers: Die Manager der Anlage seien durch die von der britischen Regierung angekündigte Privatisierung von Dounreay von den Sicherheitsfragen „abgelenkt gewesen“.
Erst Anfang Dezember 1991 schlug der Betreiber für die Öffentlichkeit Alarm. Bei Kontrollen sei das Verschwinden von rund zehn Kilo angereichertem Uran festgestellt worden. Der Chef der Anlage, Gerry Jordan, schloß den Atomkomplex, beruhigte aber die Öffentlichkeit, das verschwundene Material könnte nicht in die Nordsee gelangt sein. Mitte Juli hatte die Wahrheit die WAA-Manager auch hier eingeholt: 2,89 Kilo Uran235 seien in die See gespült worden, mußten sie kleinlaut einräumen.
Das deutsche Atomgesetz schreibt vor: Wer Kernbrennstoff aufbewahrt, bei dem „dürfen keine Tatsachen vorliegen, aus denen sich Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Antragstellers und der für die Leitung und Beaufsichtigung der Aufbewahrung verantwortlichen Personen ergeben“. Hermann-Josef Tenhagen
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