: Wo liegt denn Rapstedt?
■ Berliner Straßennamen: Straßenschilder als ideologischer Stempel
Ob die Bewohner des Rothenkruger Weges in Lichtenrade wohl wissen, nach welchem dänischen Dorf die Straße benannt ist? Stadtpläne sind Geschichtsbücher. Seitdem es Brauch ist, den Straßen Namen zu geben, haben die jeweiligen Inhaber der Staatsmacht versucht, mit Hilfe von Straßennamen den Dörfern und Städten ihren ideologischen Stempel aufzudrücken. Könige und Feldherren mußten auf die Straßenschilder. Ruhmreiche Schlachten für das Vaterland und verdiente Politiker sind auf den Stadtplänen zu lesen.
Berlin ist stark geprägt durch die Kaiserzeit, da diese Epoche auch gerade die Periode des Wachsens der Stadt war und deshalb besonders viele Straßen neu benannt werden mußten. Eine Alsenstraße, benannt nach dem Ort der Entscheidungsschlacht im deutsch-dänischen Krieg 1864, gibt es 1992 gleich zweimal, dazu eine Alsenkolonie. 1914 waren es trotz eines wesentlich kleineren Stadtgebietes drei Alsenstraßen und eine Alsenbrücke.
Erstaunlicherweise haben auch spätere Perioden der deutsch-dänischen Geschichte Spuren auf Berliner Straßenschildern hinterlassen. So gibt es in Lichtenrade ein ganzes Viertel, idyllische Zweifamilienhäuser mit großen Gärten, das in den zwanziger jahren entstand und Namen von dänischen Dörfern trägt, die selbst in Dänemark eine halbe Autostunde weiter schon unbekannt sind. Die Namensgebung in Lichtenrade offenbart eine unselige Verbindung zwischen Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus. Die Namen, die zwischen 1930 und 1938 gewählt wurden, stammen von Dörfern im dänischen Südjütland, das als Nordschleswig von 1871 bis 1920 zum deutschen Reich gehörte. Man muß nicht viel Phantasie haben, um zu erkennen, daß die Namensgebung an die verlorenen »Nordgebiete« erinnern sollte, die nach der Volksabstimmung vom 11. März 1920 zu Dänemark gekommen waren. Den Verlust konnten offensichtlich die Verantwortlichen in der Weimarer Republik genausowenig verwinden wie die Nationalsozialisten, die die neue Grenzziehung im Norden wie den gesamten Versailler Vertrag nicht anerkannten. Landkarten aus der Nazizeit zeigen Nordschleswig noch als deutsches Land.
Um welche Straßen handelt es es sich?
Straßennamebenannt nach
Lintruper WegLintrup
Rackebüller WegRageböl
Halker ZeileHalk
Krusauer StraßeKrusä
Rotenkruger StraßeRödekro
Kettinger StraßeKetting
Rapstedter WegRavsted
Feldstedter WegFeldsted
Ekernsunder WegEgernsund
Warnitzer StraßeVarnaes
Die Straßen im beschaulichen Viertel tragen nicht alle Namen aus Nordschleswig. Nach und nach sind einige deutsche Dichter wie Goethe, Schiller, Lessing, Raabe und andere dazugekommen. Von besonderer Pikanterie ist es, daß auch einer der sechs Fontanestraßen der Stadt vertreten ist. Sie kreuzt die Rotenkruger, die Krusauer Straße und die Halker Zeile.
Theodor Fontane — das ist nahezu unbekannt — war Kriegsberichterstatter im deutsch-dänischen Krieg 1864 und hat darüber ein nicht sehr erfolgreiches 400 Seiten dickes Buch geschrieben. Merkwürdig an den Namensgebungen ist die Tatsache, daß nur kleine Dörfchen Berücksichtigung fanden. Die größeren Städte wie Tondern, Hardersleben, Apenrade und Sonderburg blieben ausgespart. Jürgen Karwelat
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen