: Erich Honecker bleibt weiter in Haft
■ Entscheidung über Aufhebung des Haftbefehls einvernehmlich vertagt/ Warten auf medizinisch-psychiatrisches Gutachten/ Verteidigung sucht bereits Unterkunft für Honecker
Berlin (dpa/ap/taz) — Erich Honecker bleibt weiter in Haft — zumindest bis das medizinische Gutachten zur Haftfähigkeit des 79jährigen Ex-Staatschefs vorliegt. Darauf einigten sich beim gestrigen Haftprüfungstermin die zuständige Schwurgerichtskammer, Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Die Anträge der Verteidigung auf Aufhebung des Haftbefehls wegen Totschlags beziehungsweise Haftverschonung wurden zurückgestellt. Das medizinisch-psychiatrische Gutachten wird voraussichtlich Ende August vorliegen.
Wie Rechtsanwalt Nicolas Becker gestern erklärte, vereinbarte die Verteidigung mit dem Vorsitzenden Richter Hansgeorg Bräutigam, daß für Honecker eine angemessene Wohnmöglichkeit beschafft werden soll. Bei Haftverschonung muß ein fester Wohnsitz nachgewiesen werden. „Bisher hat sich noch keine Institution bereit erklärt, Herrn Honecker aufzunehmen. Wir führen noch Gespräche“, sagte Becker, wollte aber nicht mitteilen, mit welchen Institutionen verhandelt wird.
Becker erklärte im Anschluß an den Termin, die Kammer müsse bei ihrer Entscheidung über Haftverschonung ins Kalkül ziehen, ob die medizinische Versorgung und die Sicherheit Honeckers außerhalb der Gefängnismauer nicht besser zu gewährleisten seien. „Wenn der Gutachter sagte, der alte Mann steht ein zweijähriges Hauptverfahren unter diesen Bedingungen nicht durch, möchte ich den Richter sehen, der den Haftbefehl weiter aufrecht erhält“, sagte Becker. Auch eine Fluchtgefahr bestehe nicht, wenn Honecker Tag und Nacht von Sicherungsbeamten bewacht werde.
Allerdings müsse die Kammer auch dem Opportunitätsprinzip entsprechend prüfen, was bei einer Freilassung mit den Mitangeklagten geschehe. Diese könnten mit gleichem Recht Haftverschonung fordern. Neben Honecker sind noch der frühere Ministerpräsident Stoph, Stasi- Minister Mielke, Verteidigungsminister Heinz Keßler und der SED- Funktionär Streletz wegen der Todesschüsse an der innerdeutschen Grenze und der Berliner Mauer in Untersuchungshaft. Der sechste Angeklagte, Hans Albrecht, genießt aus gesundheitlichen Gründen Haftverschonung.
Die Kammer werde unabhängig entscheiden, müsse sich aber klar darüber sein, daß sie „politisch sehr viel Schelte kriegen wird“. Gegen den zweiten Haftbefehl wegen der Sonderversorgung der SED-Prominentensiedlung Wandlitz habe die Verteidigung zunächst keine Anträge gestellt, sagte Becker. „Wird der erste in unserem Sinne positiv beschieden, folgt der zweite auf den Fuß“, erklärte der Anwalt.
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