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Spring mit Gott, aber spring!

Carl Lewis sprang in einem eher langweiligen Wettkampf mit dem Beistand eines hin- und hergerissenen Herrgotts 8,67 Meter weit und schlug Weltrekordler Mike Powell um drei Zentimeter/ Widrige Winde als Rekordhemmer  ■ Aus Barcelona Michaela Schießl

Geben wir es zu. Das großangekündigte Duell zwischen Carl Lewis (USA) und Mike Powell (USA) hatte gewisse Längen. Um nicht zu sagen, es war über weite Strecken langweilig. Carl, der große Meister des ersten Sprungs, hatte in ebendiesem 8,67 Meter vorgelegt. Doch die Hoffnung, dies sei erst die Ouvertüre zum ersten 9-Meter-Sprung der Geschichte, blieb ein frommer Wunsch.

Rivale Mike Powell, der 1991 in Tokio sensationell und zum Schrecken des bis dato ungeschlagenen Carl Lewis den 23 Jahre alten Rekord von Bob Beamon um fünf Zentimeter (8,95 m) überboten hatte, ließ den Wettkampf eher gemütlich angehen. 7,95 Meter kurz segelte er beim ersten von sechs Sprüngen. Der 28jährige jedoch ist bekanntlich der Mann des letzten Versuchs. Überspringen wir also die wenig aufregende Zeitspanne, in der Lewis immer um die 8,50 Meter landete und Powell sich stetig steigerte, und spulen vor bis zum letzten Sprung Powells.

Lewis lag immer noch mit seinen 8,67 Metern in Führung, als Powell auf dem Boden kniete, die Stirn auf die Erde gepreßt, und voller Inbrunst zu beten begann. Solcherart beseelt lief er an, sprang, und flog und flog und flog. „Das war er, das ist die Goldmedaille“, kreischten die 65.000 im Stadion. Powell jubelte verhalten, Carl sah aus, als müsse er gleich brechen. Nervös tigerte er um die Anzeigentafel herum. Dann, endlich, erschien das Ergebnis: 8,64 Meter für Mike Powell, drei Zentimeter zu kurz. Carl Lewis hatte geschafft, was keiner vor ihm geschafft hatte: Er holte zum dritten Mal in Folge olympisches Gold im Weitsprung.

Die Erleichterung war ihm anzumerken: Voller Glück drückte er seinen Rivalen Powell an die Brust und wollte ihn gar nicht mehr loslassen. Auf die Ehrenrunde mußte er jedoch warten, weil just in diesem Moment die 5.000-Meter-Läufer ihre Semifinalkreise zogen. Doch das Warten auf die ihm zustehende Anerkennung hat Lewis mittlerweile gelernt. Jahrelang wurde er von seinen Landsleuten igoriert. Vier Goldmedaillen holte er für die USA in Los Angeles und zwei in Seoul, doch Sympathien gewann er nicht. Zu arrogant sei er, zu siegessicher, zu großmäulig, sagten die Amerikaner, die eigentlich genau auf diese Eigenschaften stehen. Einleuchtender erscheint die Erklärung seines Bruders Mack: „Carl entspricht nicht dem amerikanischen Bild eines farbigen Athleten. Er ist eben nicht im Ghetto von Chicago aufgewachsen, sondern als Lehrersohn in einem gepflegten Vorort in New Jersy. Das konnten sie ihm nie recht verzeihen.“

So ist die größte Leistung des besten Athleten der Welt eigentlich die, nie aufgegeben zu haben. „Es gibt Dinge im Leben, da muß man durch“, sagt der 31jährige weise, und offenbart die Quellen seiner Sprungkraft: Sich immer nur auf das Positive konzentrieren und gottesfürchtig sein: Der himmlische Vater wird mir schon die Hand reichen. Tatsächlich war Gott bei diesem Weitsprungduell schwer in der Bredouille. „Ich danke dir, Gott, daß ich hier sein darf. Nun hilf mir, weit genug zu springen“, nahm ihn Mike Powell in die Pflicht. Carl, der Profi, war gewiefter: „Ich hoffte, daß es eine höhere Kraft entscheiden würde. Wenn Gott mir helfen will, schön. Wenn er Powell hilft, auch gut.“ Soviel Demut mußte einfach belohnt werden.

Daß das große Duell weitenmäßig auf recht bescheidenem Niveau blieb, erklärten die beiden mit den schwierigen Windverhältnissen im Stadion Montjuic. Mal machte der Gegenwind zu schaffen, dann Rückenwind, dazwischen Querwinde — verursacht wahrscheinlich durch den hin- und hergerissenen Gott. Mike Powell laboriert zudem an einer Muskelverhärtung. Der Wettkampf war äußerst hart und eng, fanden die beiden Champs einhellig und beteuerten gegenseitig ihren Respekt. „Mike hätte auch gewinnen können“, sagte Carl großzügig, und Mike erklärte Carl zum „Besten von allen“: „Er ist meine große Motivation, er hat das Niveau festgelegt. Ich glaube, daß er noch 10 Jahre weiterspringen kann.“

Was der gute Carl zum Entsetzen der Konkurrenz auch glatt vorhat: Ihm macht es soviel Spaß mit seinen fidelen Jungs vom Santa Monica Track and Field Club, daß er an Rücktritt überhaupt nicht denke. Zudem motiviere ihn das Duell mit Powell. „Das heute war das Ende von nichts“, philosophierte der Glamourstar, und kündigte an, daß „der Kampf nun erst richtig losgeht, bei Null sozusagen.“ Das Alter sei für ihn kein Problem. „Man zieht die Energie aus den Gegnern. Heute hab ich die Energie von Mike abgezogen“, grinste er hämisch in Richtung Powell. Und einige Zuschauer schwören, seine Vampirzähne gesehen zu haben.

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