: „Deutschland ist gut, es gibt Arbeit“
Sahit Elezaj liegt mit schweren Verletzungen im Kreiskrankenhaus Ostfildern/ Anfang Juli überfielen sieben junge Männer den Kosovo-Albaner und seinen Landsmann Sadri Berisha in ihrer Baracke/ Berisha wurde von den Vermummten totgeschlagen ■ Aus Ostfildern Dietrich Willier
„Der Doktor hat gesagt, ich soll nicht soviel spazierengehen! Der Doktor hat gesagt, ich soll nicht rauchen!“ Sahit Elezaj lacht verschmitzt, als er das sagt, und raucht und geht spazieren. Wie sollte er auch anders, wo doch kaum eine Stunde vergeht, ohne daß immer neue Besucher in der Tür seines Krankenzimmers stehen, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen. „Laß uns Kaffee trinken“, bittet der kleine, schmale Mann mit dem bleichen, faltigen Gesicht dann seine Gäste in die Cafeteria des Kreiskrankenhauses von Ostfildern und schlurft voran in seinem gelb- schwarz geringelten Pyjama. Daß ihm der Kopf schmerzt, daß sein Rücken, daß Brust und Schultern blau und grün geschlagen und noch immer geschwollen sind, sagt er, und bekommt trotz eines hilflosen Lächelns traurige Augen. Von seiner Angst wolle er nicht reden. Lieber davon, daß ihn der Bürgermeister besucht und daß sein Arbeitgeber, der Juniorchef einer Baufirma, an seinem Krankenbett sogar geweint hat.
Erst abends, wenn die letzten Besucher den 46jährigen Kosovo-Albaner verlassen haben, fügen sich die Bilder aus Sahits Ängsten wieder zusammen. Nachts, wenn er immer wieder aus denselben Träumen hochschreckt, hört er sie kommen; die Männer mit den vermummten Gesichtern, und er spürt die Prügel, die ihn fast totgeschlagen hätten. Anständige junge Leute seien das gewesen, erinnert sich die jugoslawische Wirtin der „Keglerklause“ im Industriegebiet der Fildergemeinde Kemnat. „Nie ließ einer anschreiben“, auch nicht an diesem Mittwoch, dem 8.Juli. Unsicher blickt sie dabei hinüber zu den Gästen ihres Lokals: Nein, betrunken sei keiner der sieben Männer gewesen, als sie kurz nach Mitternacht aufgebrochen waren — zum „Polacken klatschen“.
Auch Sadri Berisha, sagt sie, der große, dicke Mann mit seinen 95 Kilo, Sahits Zimmerkumpel und Landsmann, sei abends oft in die Kneipe gekommen: „Alle kannten ihn, wie in einer Familie, er war immer lustig.“
Drüben, am Ende der Hagäckerstraße, dort, wo die Felder beginnen, hatte das ungleiche Paar gewohnt. Ein Zimmer, zu zweit, im Dachstock einer niedrigen Baracke. Sogar mit den drei Serben, die ebenfalls in dem Häuschen leben, sei man immer gut ausgekommen, erzählt Sahit Elezaj. Nicht wie zu Hause im jugoslawischen Kosovo, wo die großserbischen Milizen des Präsidenten Milosevics erst die Selbständigkeit der jugoslawischen Provinz unterdrückten und jetzt die wehrfähigen Albaner für ihr Gemetzel gegen Bosnien- Herzegowina zwangsrekrutieren. Damian, sein Dorf, klagt Sahit, werde von serbischen Tschetniks kontrolliert. Arbeit hatte es dort für Sahit und viele seiner Landsleute schon vor 21 Jahren nicht mehr gegeben. Sie verließen ihre Heimat und heuerten bei deutschen Baufirmen an. In Hannover, Nürnberg, Stuttgart hat Sahit als Maurer und Eisenbieger seinen Teil zum deutschen Bauboom beigetragen. Seit sieben Jahren lebt und arbeitet er in Kemnat. Zwei-, dreimal im Jahr besuchte er seine Frau und die sieben Kinder. „Jetzt ist es sehr gefährlich geworden. Deutschland ist gut“, meint Sahit, „ich mußte noch nie meinen Ausweis zeigen, es gibt Arbeit, du gehst spazieren.“ Gut die Hälfte seines Monatslohns von zweitausend Mark schickte er nach Hause. Nach Feierabend saß man unter dem Baum neben der Baracke in der Hagäckerstraße: Sadri Berisha, sein Freund, sagt Sahit „hätte in der Wohnung seines Bruders schlafen können, aber er wollte bei mir bleiben“. Manchmal kamen ein paar Kollegen aus dem Arbeiterwohnheim zum Plaudern herüber — es ist nur einen Steinwurf entfernt. Deutsche Freunde hat Sahit nie gehabt, aber auch keine Probleme. Bis zu dieser Nacht vor vier Wochen. Es war halb drei in der Nacht, als die sieben jungen Männer aus der Keglerklause vor die Baracke kamen. Die Haustür war offen, wie meist. Sie hatten sich Eisenstangen besorgt, ihre Gesichter waren unter den Motorradmasken nicht zu erkennen. Vier von ihnen warteten vor dem Haus, ihre drei Kumpane kletterten die schmale Holztreppe hinauf bis vor die verschlossene Zimmertür. „Liberté pour les Albanais“, steht da auf einem Aufkleber — Freiheit für die Albaner. „Es ging alles sehr schnell, fünf Minuten vielleicht“, erinnert sich Sahit. Er war aufgewacht, als die drei Männer die Türe eintraten, hatte die Arme gegen die Schläge der Eisenstangen vors Gesicht gepreßt. Man „werde sie totschlagen“, brüllte einer der Anführer. Der dicke Sadri lag in dem Bett neben Sahit auf dem Bauch. Sahit wollte ihm helfen, als die Eisenstangen der Vermummten Sadri Berishas Schädel zerschlugen, „aber es war zu schwer“. Erst im Krankenhaus wachte Sahit Elezaj wieder auf und erfuhr, daß sein Freund Sadri seinen Verletzungen erlegen war.
Zwei Stunden später, berichtet die Hausmeisterin des Arbeiterwohnheims, die Leute standen noch auf der Straße, da seien zwei junge Deutsche vorbeigekommen: „Was denn hier los ist, wollten sie wissen.“ Am nächsten Tag wurden die beiden, zusammen mit ihren fünf Kumpanen, verhaftet. Mord, Mordversuch und Beihilfe dazu, wirft die Stuttgarter Staatsanwaltschaft den sieben Männern vor. Herbert Rösch, der erste Bürgermeister der Gemeinde, ist entsetzt. Über Nacht hatte sich Kemnat, das großgewordene Dorf mit seinen geleckten Bürgersteigen und Einfamilienhäusern das Siegel der Ausländerfeindlichkeit schlechthin erworben. Bedrückte Ratlosigkeit beschreibt die Stimmung der Menschen, wenn sie seit vier Wochen auf der Straße oder in den Geschäften über kaum etwas anderes als den Mord an Sadri Berisha reden. Nein, beharren sie dann trotzig, hier ist nicht Hoyerswerda.
Auch dann nicht, wenn sich wieder einmal junge Leute mit bunten Haaren oder schwarzgekleidet auf dem Dorfplatz versammeln, um „Rassismus und Faschismus“ in der Republik zu geißeln. „Unverschämtheit“, knurren da zwei Rentner „hier gibt es keine Faschisten.“ „Seit zwanzig Jahren“, wehren sie sich, „leben wir hier mit Serben und Kroaten und seit zwölf Jahren mit Flüchtlingen aus Eritrea.“ „Streit hat es noch nie gegeben, und meist kommen wir mit ihnen besser aus als mit unseren deutschen Nachbarn.“ Er traue sich nicht mehr zu sagen, daß er aus Kemnat sei, meint ein alter Mann. Er kennt die jungen Leute in Kemnat heute nicht mehr, sagt er, aber „die, die so etwas machen, gehören lebenslänglich hinter Gitter“.
Sahit Elezajs körperliche Wunden sind inzwischen vernarbt, die seelischen werden durch die Bestrafung seiner Peiniger nicht heilen. Die kennt er jetzt, aber woher soll er wissen, wer die nächsten Täter sind. Sein Vertrauen ist zerbrochen. Zum ersten Mal seit 21 Jahren. Zu seiner Familie nach Kosovo kann er nicht, in der Baracke am Ende der Hagäckerstraße traut sich niemand mehr zu schlafen. „Der Doktor“, hofft Sahit, „wird mich nicht so schnell aus dem Krankenhaus entlassen“; in ein Land, das über Nacht wieder fremd und feindlich für ihn geworden ist. Nur ein paar hundert Meter von Sahits Krankenzimmer entfernt hat der amerikanische Bildhauer Sol Lewitt vor kurzem eines seiner Mauerobjekte errichtet. Vor ein paar Tagen haben bisher unbekannte Täter die Plastik mit einem Vorschlaghammer zerstört. „So ein Scheiß“, steht jetzt in gesprühten Lettern darauf, daneben ein Hakenkreuz. Und: „Sol Lewitt, du Arsch“, gezeichnet „GTI- Club Ostfildern“.
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