: Mut zum großen Thema
■ Dea Lohers Stück Olgas Raum im Ernst-Deutsch-Theater
im Ernst-Deutsch-Theater
Wie bringen Menschen es fertig, Folter zu überleben und Folter zu rechtfertigen? Eine junge Autorin - Dea Loher, 27 - hat Mut zum großen Thema, und sie ergänzt unsere von männlichen Helden und Tätern bevölkerte Vorstellung um die Perspektive dreier Frauen, im Mittelpunkt die von den Nazis ermordete jüdische Widerstandskämpferin Olga Benario. Für ihr Stück Olgas Raum, das den Auftakt der Reihe Das zweite Programm mit Inszenierungen junger Bühnenautoren bildet - wurde Loher mit dem Dramatikerpreis der Hamburger Volks
bühne ausgezeichnet.
„1935 verhaftet in Brasilien, 1936 an die Gestapo ausgeliefert, 1939 Ravensbrück...“ - mechanisch wiederholt Olga (Isabella Vértes) immer wieder die Stationen ihres Lebens. Nur wenn sie ihre Erinnerungen automatisiert wie Abzählreime, kann sie die Wahrheit so verstauen, daß während der Folter nur noch eine Leere in ihr existiert.
Lohers Stärke ist es, die Verstrickung von Folter und Sprache aufzuzeigen. Sie führt uns Opfer und Täter am glaubhaftesten an
hand ihrer verbalen Bewältigungsstrategien vor. Es mag außerdem ein Verdienst der weiblichen Annäherung an das Thema sein, daß Folterer Filinto (Wolfgang Riehm) am meisten überzeugt, wenn er das Frausein seiner Opfer für Quälrituale ausreizt: seine Obszönität offenbart sich in süffisanten Schilderungen von Schwangerschaftstests und in den sicheren Griffen, mit denen er den Folterstuhl in einen Gynäkologenstuhl umbaut.
Die drei Frauen jedoch verlieren, wenn sie handeln sollen, die psychologische Sicherheit, die sie sprachlich offenbarten. Zwar kompensiert die rhythmische Inszenierung Yves Jansens die Ausrichtung auf das sprachliche Geschehen ein wenig. Auch Reinhard Wolffs Bühnenbild vermag mit effizienter Farb- und Raumgestaltung dem Mangel an charakterlicher Ausstaffierung der beiden Mitgefangenen optischen Reiz entgegenzusetzen.
Dennoch ist es schade, daß die in knappen Bildern zu Beginn des Stückes versprochenen Auseinandersetzungen zwischen Genny (Susanne Burkhard) und Olga sich später nicht in entsprechenden Gesten niederschlagen. Gennys Funktion ist nur dramaturgisch legitimiert, ihre Anwesenheit befreit Olga von der Last des Monologs. Gennys Ausdrucksmöglichkeit stagniert in kindlichem Trotz mit Füßestampfen.
Auch Olgas Versuch, zu überleben, indem sie selbst zur Täterin wird, verläuft sich. In einer ästhetischen Verführungsszene verblaßt die sonst kraftvoll dargestellte Olga zu einem glatten Stereotyp. Luitgard Hefter
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