piwik no script img

Schrebergarten-Revoluzzer aus Schwaben

Auf der Zielgeraden tat sich plötzlich eine Lücke auf, der Schwabe Dieter Baumann spurtete an den Wunderläufern aus Afrika vorbei und wurde Olympiasieger über 5.000 Meter  ■ Aus Barcelona Michaela Schießl

Hundert Meter vor dem Ziel sitzt Dieter Baumann in der Falle. Vor ihm blocken der Kenianer Paul Bitok und der Äthiopier Fita Bayisa, neben ihm sperrt hauteng Yobes Ondieki (Kenia). Es ist zum Verrücktwerden. Nur noch lächerliche hundert Meter! Und Baumann befindet sich in enger Manndeckung. „Ich war eingekesselt. Aber ich habe die Nerven behalten. Und gewartet, gewartet und gewartet.“ Als ihm das Warten zu lange wird, wechselt er die Taktik: „Ich habe gebetet um eine Lücke, und sie hat sich aufgetan.“ Eine Neuauflage der Legende von Moses, der einst gar das Meer überredet hatte, sich kurzfristig zu teilen?

Fast sieht es so aus, als Bitok und Bayisa plötzlich auseinanderrücken. In Wahrheit muß Bayisa nach außen, um den überholenden Ondieki auszubremsen. Baumann spurtet los. Mit Riesenschritten zieht er an den fassungslosen Streithähnen vorbei. Jetzt nur noch Bitok. Zentimeter um Zentimeter schiebt er sich heran an den Kenianer, der seinerseits alle afrikanischen Götter anfleht. Doch die hatten frei am Samstag abend. Acht Schritte vor der Ziellinie überholt Baumann, läuft nach 13:12,52 Minuten ins Ziel und schlägt vor lauter Glück einen Purzelbaum. Er, der Schwabe, hat es geschafft: Die afrikanischen Laufwunder sind besiegt, er ist der neue Olympiasieger über 5.000 Meter.

„Ich habe nicht geglaubt, daß ich es schaffen kann. Das Rennen lief derart optimal für mich, daß ich plötzlich ein schlechtes Gefühl gekriegt habe. Wenn man weiß, es könnte klappen, man muß nur noch den Deckel zumachen, dann kommt die Angst. Der Bitok hat die ganze Zeit Druck gemacht, da wußte ich: Der hat's nicht drauf.“

Wie bitte? Alles läuft prima und er denkt ans Verlieren? Sein Konkurrent powert wie wild und er weiß, er blufft? So ist er nunmal, der Baumann. Alle Versuche, ihn in eine Schablone zu packen, schlagen fehl. Schon bevor er in Seoul sensationell Silber gewonnen hatte, war er der Schrecken der Funktionäre. Denn der siebenundzwanzigjährige mit dem unwiderstehlichen Lachen sucht sich die, auf die er hört, lieber selber aus.

In Seoul startete er noch als Ein- Mann-Show — ohne Trainer. Für das Unternehmen Barcelona fand er jemanden, die ihm Beine macht: Isabelle Hozang (29), Trainerin und Freundin. Sie brachte ihn über die schwierigen zwei Jahre hinweg, wo ihn Knie und Achillessehne am Laufen hinderten. Vorsichtig baute die Frau mit dem Trainerschein den Mann mit dem eisernen Willen wieder auf. Und triezte ihn gnadenlos, als er wieder fit war.

Die Mittelstrecklerin aus Wien, selbst mehrfache österreichische Meisterin, beobachtet zudem die Konkurrenz. Baumann wußte jederzeit, wie Bitok trainierte, was Ondieki tat. Sie jagte ihren Liebsten zehn Wochen lang im Höhentraining in Flagstaff, Arizona, durch den Wald. Sie trieb ihn kurz vor Olympia in Sevilla zur Weltjahresbestleistung von 13:09,03. Und sie unterstützte ihn in der Auffassung, daß viele Funktionäre wenig wissen. In deren Augen hat sie drei Fehler: „Erstens: Ich bin eine Frau. Zweitens: Ich bin Ausländerin. Drittens: Ich bin Baumanns Freundin.“

Nachdem Baumann nach Seoul vom VfB Stuttgart zu Bayer Leverkusen gewechselt war, nahmen die Württemberger Verbändler Isabelle Hozang aus Rache ihren Posten als Landestrainerin weg. Doch der naturliebende Baumann steht über ärmlichen Kleingeistern. Nach dem Sieg ließ er sich sogar von dem ungeliebtesten aller Leichtathletik-Funktionäre beglückwünschen. Zwar war ihm der Widerwille anzusehen, als ihn DLV-Sportwart Manfred Steinbach umarmte, doch kalt stehen ließ er ihn nicht. Der Baumann hat halt Herz. Selbst nach seinem größten Sieg rechnete er nicht ab. „Ihr wollt, daß ich mit euch gegen die Funktionäre schieß“, sagte er zu den Pressevertretern. „Den Gefallen tu ich euch nicht. Nicht alle sind so schlecht, der Cheftrainer „Lauf“, Lothar Hirsch, macht gute Arbeit.“ So wie er selbst: „Ich habe heute das getan, was ich am besten kann. Ich habe ein Rennen gewonnen.“ Kein Zweifel: Der Mann ist stur: Man kann machen, was man will, er hebt einfach nicht ab. Nicht einmal über das bescheidene Abschneiden der Deutschen Mannschaft will er herziehen: „Das war doch gar nicht so schlecht. Das war wie immer. Was habt ihr erwartet, eine Medaillenflut? Sogar Michael Johnson ist ausgeschieden. So was ist normal.“ Recht hat er, der Baumann, und doch: Trotz seines Bekenntnisses zur Emanzipation, seiner Widerborstigkeit gegenüber Funktionären, seines Einsatzes für Umweltschutz und seiner absoluten Nicht- Korrumpierbarkeit kann man ihn nicht aufbauen als Nonkonformist. Denn im Grunde genommen liebt Baumann das, was viele lieben. Eine enge Zweierbeziehung, ein Eigenheim, Glück und so weiter. Gerade haben er und Isabelle sich ein Häuschen gekauft, in Blaustein, wo Baumann geboren wurde. Zu Hause ist's halt schön. Seine wichtigste Tugend: Ehrlichkeit. Auch sein Traum vom Glück ist wenig exotisch: „Ein Schrebergarten mit Hütte.“ Baumann, der Revoluzzer? Sagen wir einfach: Er ist ein aufrechter Schwabe. Und für die Leichtathletik ein ähnlicher Glücksfall wie einst Harald Schmid.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen