piwik no script img

Wer sich schon immer schlauer fühlte

■ Mensa, der Verein für Menschen mit einem Intelligenzquotienten von über 130, lockte die unentdeckten Intelligenzbestien zum Test/ Außer veralteten Begriffen von Intelligenz und Stammtisch haben die Geistesriesen nichts zu bieten

»Unter hundert wäre natürlich peinlich.« Nervös schielt der 20jährige Joey auf den Stapel von Testbögen. 27 Prüflinge, größtenteils junge Männer, wollen heute endgültig wissen, ob sie intelligent sind oder nicht. Mehr als ein Viertel der Anwesenden sind Medienvertreter. Häufigster Dialog im Raum: »Darf ich Sie mal was fragen — was versprechen Sie sich von diesem Test?« »Ich bin auch von der Presse.«

Die Stimmung war trotzdem gut im Fünfziger-Jahre-Ambiente des Karl-Renner-Hauses in Lichterfelde. Hier hielt »Mensa«, der Verein, dem nur Menschen mit einem Intelligenzquotienten über 130 angehören dürfen, am vergangenen Sonntag einen Aufnahmetest ab. 1.200 Mitglieder hat die deutsche Dependance des 1946 gegründeten internationalen Mensa-Vereins.

»Alle sind von Alter und Beruf her völlig unterschiedlich, da gibt es Hausfrauen und Arbeiter ebensogut wie Akademiker«, sagt Detlev Oeffner von der Berliner Ortsgruppe. Er ist durchs erste juristische Staatsexamen gefallen und studiert jetzt Medienberatung. Nebenbei widmet sich Oeffner dem Auffinden weiterer »Superhirne«: »Normalerweise haben zwei Prozent der Bevölkerung einen IQ über 130, also gibt es in Berlin etwa 70.000 Leute, die das noch gar nicht wissen.«

Die Aussagekraft von Intelligenztests, die der amerikanische Psychologe Charles E. Spearman 1904 entwickelte, zweifelt die moderne Psychologie allerdings an. So wird beispielsweise kritisiert, daß der IQ ganz verschiedene geistige Fähigkeiten wie abstraktes Denken, optisches Vorstellungsvermögen und Gedächtnis auf einen Nenner bringt. Die Suche nach der »allgemeinen Intelligenz« steht für die Forschung heute eher im Hintergrund. Vielleicht sind die Tests, die Mensa den Kandidatinnen präsentiert, deshalb fünfzig Jahre alt.

»Ich möchte gern Mitglied in dem Club werden«, sagt Christoph. »Ich unterhalte mich nämlich gern mit Erwachsenen.« Der 14jährige Klassenbeste sieht aus, als würde er die 130er-Hürde mit Leichtigkeit überwinden. Es könnte jedoch sein, daß er von den Vereinsaktivitäten enttäuscht sein wird: Vorträge oder Seminare bietet Mensa nicht an — außer einem monatlichen Stammtisch organisiert die Berliner Ortsgruppe nur das Sommerfest mit einem typischen Touristenprogramm: Dampferfahrt, Besuch bei der BVG, Stadtrundfahrten. An diesem Abend treffen sich die Mensianer zum gemeinsamen Picknick.

Den meisten Testanden ist der Verein sowieso egal, sie wollen nur endlich Klarheit über ihren Intelligenzquotienten. »Ich habe mich immer für etwas schlauer gehalten als die anderen, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein«, gibt der 19jährige Alexander zu. Martin, ein junger Beamter, will den Test auch als Entscheidungs- und Lebenshilfe: »Ich will mich beruflich verändern und hier auch etwas über meine Begabungen erfahren.«

»So, es geht los. Aber nicht schwatzen«, droht Detlev Oeffner mit betonter Schalkhaftigkeit. Väterlich blickt er uns Prüflinge an und rückt sein Goldkettchen mit Playboy-Anhänger zurecht. Während er die ersten Testbögen verteilt, heißt es bei den Kameraleuten »Spot an«. Zwei grelle Scheinwerfer rufen Gemurre hervor: »Das Licht muß aus. Die haben wohl 'ne Gurke am Schuh.« Nervosität breitet sich aus. Doch rasch vergessen wir vor den Symbol- und Zahlenreihen, die es zu ergänzen gilt, alles um uns herum.

Alle Aufgaben sind von jedem Menschen zu bewältigen, nur nicht unbedingt innerhalb der Testzeit: Pro Minute müssen drei bis vier Fragen bewältigt werden. Verdrießlich schaut mein Nachbar zur Linken auf seinen Bogen: Nur zwei Drittel der Aufgaben hat er in der gegebenen Zeit geschafft. Doch schon im nächsten Testteil ist er wieder obenauf: Mit Leichtigkeit setzt er die wirren Fragmente geometrischer Formen, die mir Furcht und Schrecken einflößen, zu ganzen Figuren zusammen. Schließlich wird noch unser Sprachvermögen getestet.

Nach zwei Stunden haben wir es geschafft. In einer Woche gibt es die Ergebnisse — dann werden wir endlich Klarheit haben. Myriam Hoffmeister

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen