piwik no script img

Jagd über die Dächer der Pfarrstraße

■ Hausbesetzer schlugen 40köpfigen Bauarbeitertrupp in die Flucht/ Zwei LKW zertrümmert/ Sicherungsmaßnahmen oder Räumungsversuch?

Lichtenberg. Mit Pflastersteinen und Molotowcocktails schlugen gestern HausbesetzerInnen in der Lichtenberger Pfarrstraße einen 40köpfigen Bautrupp in die Flucht. Zurück blieben zwei LKW der Abriß- und Baufirma Homann — mit zerstochenen Reifen und zertrümmerten Führerhäuschen. Als die Polizei mit ihren obligatorischen zwei Mannschafswagen anrückte, war die Schlacht bereits geschlagen.

Hintergrund und Ablauf der Randale sind umstritten. Nach Angaben der BesetzerInnen des Hauses in der Pfarrstraße 104 drang gegen 9.30 Uhr ein überwiegend glatzköpfiges Abrißkommando durch zwei Stahltüren in ihr Reich ein, forderte sie zur Räumung auf und ging mit Äxten auf die Haushunde los. »Die wollten räumen«, sagte einer der Besetzer wenig später zur taz. »Die 104 soll schon lange fallen.« Sicher sei es auch kein Zufall, daß ihnen völlig überraschend »ein Haufen Faschisten« ins Haus geschickt worden sei. »Normalerweise meldet man sich doch an, oder?« Die zehn bis 15 Bewohner hingegen hätten eine Räumung verhindern können, triumphiert er. »Die haben wir vielleicht über die Dächer gejagt. Jetzt sollen sie mal kommen und ihre Autos abholen.«

Der Rechtsanwalt der Eigentümer, L. Giese, versteht die Aufregung der BesetzerInnen nicht. Von einer Räumung sei nie die Rede gewesen, der 40köpfige Bauarbeitertrupp sei lediglich beauftragt gewesen, entsprechend einer Weisung des Bauaufsichtsamtes Sicherungsmaßnahmen an dem baufälligen Haus durchzuführen. In der Pfarrstraße 104 seien mehrere tragende Wände durchgebrochen. »Die Lösung kann nicht sein, in einem Haus zu wohnen, das einem über dem Kopf zusammenbricht.« Entgegen den Angaben der jungen Leute sei das Haus allerdings auch nie im eigentlichen Sinne besetzt gewesen. Höchstens zwei bis drei Leute hätten sich dort hin und wieder aufgehalten. Diese hätten gestern morgen nach der Ankunft des Bautrupps binnen kürzester Zeit »knapp 100 Vermummte« aus ebenfalls besetzten Häusern in der Nachbarschaft mobilisiert und seien mit Leuchtkugelmunition und Pflastersteinen auf die Leute losgegangen. »Jetzt müssen wir mal abwarten, wie sich das Bezirksamt die Durchführung der Sicherungsmaßnahmen vorstellt.«

Dort bestätigte der zuständige Mitarbeiter der Bauaufsicht Wilfried Repke die Weisung seiner Behörde, das Haus abzusichern. Bereits am 19. Juni hätte er bei einer Baukontrolle die »höchstens zwei bis drei« Bewohner aufgefordert, das Haus zu verlassen. Diese hätten jedoch alle derartigen Hinweise mißachtet. Gestern hätten 20 bis 30 Leute die Bauarbeiter dann grundlos »ordentlich bedroht«. Von einem gewaltsamen Eindringen wollen sowohl Rechtsanwalt als auch Bauaufsicht nichts bemerkt haben. Gieses Kommentar: »Wenn man in einem Haus bauen will, muß man da auch irgendwie reinkommen.« Die zuständige Abrißfirma Homann war gestern nicht bereit, eine Stellungnahme abzugeben oder auch nur ihre Adresse zu nennen. »Wir geben telefonisch keine Auskunft. Wiederhören!« Jeannette Goddar

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen