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Zwischen den Brillen

■ Die Frauenzeitschrift „Ypsilon“ wurde nur drei Jahre und elf Ausgaben alt, ein Nachruf!

Still und leise ist sie verschieden an einem chronischen Leiden, das zwar frühzeitig erkannt, aber nicht behandelt wurde: Gestorben ist die Frauenzeitschrift Ypsilon an zumindest passiver Sterbehilfe. Angeklagt sind: ihr „Vater“, der BasisDruck-Verlag, als sie noch in den Kinderschuhen steckte, sowie diejenigen, die über Stiftungs- und Fördergelder verfügen. Schuld sind auch die gesellschaftlichen Umstände und nicht zuletzt: die LeserInnen. Wo sind all die „gleichgestellten“ Frauen aus der ehemaligen DDR, die einen „emanzipatorischen Anspruch“ haben, und wo sind all die Frauen aus dem Westen, die an einem Dialog mit den Frauen aus dem „weiblichsten Land der Welt“ interessiert sind, und warum haben sie nicht geholfen?

So wird denn die Perle Ypsilon, die einzige und erste überregionale Frauenzeitschrift mit „emanzipatorischem Anspruch“ aus der DDR und ihren Nachfolgeländern, endgültig ins Grab gelegt, das ihr die deutsch-deutsche Annexion geschaufelt hat. Das seit diesem Januar vorliegende Heft zum Thema „Ausländerinnen in Deutschland“ wird den Druckwalzen entgehen.

RealistInnen haben den Nachruf längst geschrieben — in Trauer um ein Zeitschriftenexperiment, das mutig, trotzig, schön, stolz, besinnlich, kämpferisch und doch „leise und verhalten“, so die Redakteurin Kirsten Thietz, mit Niveau und Kunstsinn einen Platz auf dem engen Medienmarkt forderte. Weil sie nicht buhlte und ihre Schönheit fern der Hochglanzästhetik der Trendsettermagazine und der leichten Lesbarkeit pflegte — deshalb mußte sie sich wohl mit einem Aschenputteldasein begnügen, das ihrer Qualität in keiner Weise gerecht wurde: Von anfangs 17.000 Leserinnen im Juli 1990 blieben zum Schluß im Dezember 1991 gerade mal 2.100.

Auf dem Gründungskongreß des „Unabhängigen Frauenverbandes“ am 3. Dezember 1989 wurde der Grundstein für Ypsilon gelegt, um den DDR-Frauen ein Forum für bislang tabuisierte Themen zu schaffen. Doch schon in der Vorbereitungszeit traten Komplikationen auf: Erfahrene Journalistinnen der DDR-Medien mit einem pragmatischen Konzept und junge, meist aus oppositionellen Kreisen kommende Frauen mit einem eher „philosophischen“ Konzept stritten um „ihre“ Zeitschrift. Geblieben sind die Jungen, die im „Neuen Forum“-nahen BasisDruck-Verlag einen Geldgeber aus der Prenzelberg-Szene fanden.

Ein großzügiger, aber unerfahrener, geradezu reichlich chaotischer Finanzier allerdings, der von den vier Redakteurinnen geradezu Aberwitziges forderte: Sie sollten die Werbung und den Vertrieb organisieren sowie gleichzeitig Auflage machen, und zwar flott.

Vor allem die Gestaltung, die laut der Graphikerin Daniela Haufe mit den „Sehgewohnheiten brechen“ sollte, war zu teuer für eine Zeitschrift, die dank der nicht vorhandenen Werbung kaum Leserinnen fand. Bei ohnehin schon äußerst angespannter Redaktionsatmosphäre erschien im Oktober 1990 die Nummer vier: die letzte Ausgabe der ersten Redaktion. „Da war bei mir der Riemen runter“, befand Katrin Rohnstock, die Pragmatikerin unter den Redakteurinnen, und forderte die Entlassung ihrer Kolleginnen. Zu schrill, zu spitz war ihr das Layout und innen — unleserlich... Freilich, das war ein „Markenzeichen“ der Y: das Kleingedruckte, die langen Zeilen, obendrein mutig unterlegt mit Fotos oder Grafiken. Nein, der Leserin wurde nichts erleichtert. So war es das Layout, das die erste Redaktion zu Fall brachte, mit den Graphikerinnen schieden auch die drei Redakteurinnen außer Katrin Rohnstock aus. Diese sollte nun eine neue, eine Ost-West-Redaktion zusammenstellen.

Katrin Rohnstock suchte sich die Westfrauen Margret Lünenborg und Kerstin Lück, die bereits Erfahrung in Frauenzeitungsprojekten gesammelt hatten. Margret Lünenborg allerdings gab nur ein kurzes Gastspiel. Nachdem sich die anfänglichen heftigen Ost-West-Konflikte beruhigt hatten, kapitulierte sie angesichts der Arbeitsbeziehung zum von Männern verwalteten Verlag.

Gegen die herrschende Öffentlichkeit

Ein halbes Jahr zögerte sich die nächste Ausgabe der Ypsilon hin. Das Kollektiv, das gerade autonome Entscheidungsbereiche einführen wollte, sah sich plötzlich mit dem Anspruch einer Redakteurin konfrontiert, die als Chefin über Inhalt und Ausrichtung der Ypsilon bestimmte und sich weigerte, die Stasi- Debatte zu führen, weil diese denunzierend sei. Eine Projekt-Erfahrung, die zu den bittersten gehört, die sie in Frauenkreisen gemacht habe, resümierte Margret Lünenborg.

Parallel zu diesen Querelen geriet der BasisDruck-Verlag in Not. Die Vereinigung und die „neue Mark“ forderten ihren Tribut. Wahrlich, es waren keine Zeiten für eine Zeitschrift, die sich daran machen wollte, gegen die „HERRschende Öffentlichkeit“ ein Selbstbewußtsein der DDR-Frauen, die DDR- Identität, zu stärken und gleichzeitig mit Westfrauen über unterschiedliche Traditionen zu diskutieren.

Die Ypsilon drängelte sich mit ihrem Dialogansatz just auf den Medienmarkt, als die Gespräche zwischen Ost- und Westfrauen angesichts der Differenzen fast schon verstummt waren. Wer hörte da noch die feinen, geistreichen Töne, bespielsweise der Schriftstellerin und Ypsilon-Redakteurin Kathrin Schmidt? Wer hatte ein Auge für die still-sachlichen und dennoch aufdringlichen Fotos von Katharina Vogel, Tina Bara oder Berit Pankow, in denen die Gestalterinnen eine eigene, sogenannte Ost- Ästhetik sehen? Auch die Graphiken von Künstlerinnen aus der DDR wie Gabriele Kachold und Lenore Bliever und die Comics von Anke Feuchtenberger lassen ein schnelles Überblättern nicht zu. Wohl aber Widersprüche: In welcher sich halbwegs als emanzipiert begreifenden Frauenzeitschrift sind denn schon solch wunderbare Modefotos zu entdecken?

Ganze elf Ausgaben alt wurde die Ypsilon. Der BasisDruck-Verlag verabschiedete sich bereits im Herbst 1990. Zwei Ausgaben konnten danach — ohne Zugeständnisse im Inhalt — durch das „Bildungswerk Brandenburg“ und den „Unabhängigen Frauenverband“ fremdfinanziert werden. Stipendien, Spenden, Verlage — nichts und niemand fand sich bis jetzt, um die Ypsilon vom Sterbebett zu holen. Und so verschied sie denn. In stiller Trauer Petra Brändle

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