KOMMENTAR: Ihre verdammte Pflicht
■ Die SPD-Opposition klagt beim Bundesverfassungsgericht wegen des Adria-Einsatzes
Bosnien brennt, und die SPD klagt wegen eines Marineeinsatzes in der Adria. Während der SPD-Abgeordnete von Bülow ein Eingreifen einer wie immer gearteten alliierten Luftwaffe gegen serbische Stellungen fordert, weist die stellvertretende Vorsitzende der Partei Däubler-Gmelin eine deutsche Beteiligung an der militärischen Absicherung von Hilfslieferungen weit von sich. Wieder einmal großes Chaos innerhalb der größten Oppositionspartei? Weiß die eine nicht, was der andere fordert? Wird hier die Berechenbarkeit deutscher Außenpolitik zersetzt? So paradox es auf den ersten Blick scheinen mag, die Debatte innerhalb der Partei ist notwendig und folgerichtig und die Klage in Karlsruhe alles andere als überflüssig. Beides hat, entgegen dem ersten Anschein, auch gar nichts miteinander zu tun. Ob eine militärische Intervention in Bosnien sinnvoll ist, ist eine ganz andere Frage als die, ob sie verfassungsrechtlich möglich ist oder wer über den Einsatz letztlich entscheidet. Über alle drei Komplexe wird zur Zeit parallel diskutiert, den letzten will die SPD nun in Karlsruhe bei der zuständigen Stelle klären lassen. Dieser Schritt ist längst überfällig, wird die Frage doch seit dem Golfkrieg II höchst kontrovers diskutiert. Seit durch den Zerfall der UdSSR Kriege auch innerhalb oder unter massiver Beteiligung des industriellen Nordens wieder führbar geworden sind, drängen die Konservativen darauf, auch die Bundeswehr als Machtinstrument einzusetzen. Mit großem Geschick bietet Volker Rühe der SPD seitdem Einsätze an, die sie eigentlich nicht ablehnen kann. Denn was ist gegen den Einsatz von Sanitätern in Kambodscha und Kurdistan, was gegen einen maritimen Beobachtungsposten in der Adria schon zu sagen? Moralisch gar nichts, und so setzen die CDU-Juristen gleich nach: verfassungsrechtlich also auch nichts, denn das Grundgesetz läßt Bundeswehreinsätze unter UNO-Kommando durchaus zu. Die Folge dieser Politik ist eine immer größer werdende Grauzone über den Status quo der Bundeswehr. Was die Truppe darf, möchten Rühe und Co möglichst in der Schwebe halten, weil sie dann letztlich allein das Definitionsmonopol erobert haben. Daß die SPD sich dem widersetzt, ist ihre verdammte Pflicht als Oppositionspartei und hat nichts mit Ignoranz gegenüber den Opfern des Krieges in Bosnien zu tun. Karlsruhe muß nun entscheiden, welchen rechtlichen Rahmen die Bundeswehr hat — danach ist die Politik wieder am Zug. Vom Spruch aus Karlsruhe wird abhängen, ob entweder die Bundesregierung oder die Opposition Gesetze einbringen werden, die den Status quo verändern sollen. In diesem Prozeß wird nicht nur zu klären sein, ob und wenn ja welchem internationalen Kommando zu welchem Zweck die Bundeswehr zukünftig unterstellt werden darf, sondern wer im konkreten Fall die Entscheidung trifft. Der Vorschlag, deutsche Kampfeinsätze auch bei internationalen Einsätzen von einer Zweidrittelmehrheit im Parlament abhängig zu machen, schafft beispielsweise einen Zwang zur Auseinandersetzung, der militärische Mittel zur Profilierung einer Regierung ausschließen würde.
Unter vielen politischen Entscheidungen ist die weitere Verwendung der Bundeswehr eine der weitreichendsten. Die SPD wehrt sich völlig zu Recht dagegen, mit den Schreckensbildern aus Bosnien unter Druck gesetzt zu werden. Selbst Verteidigungsminister Rühe gibt ja nach wie vor zu, daß der Einsatz deutscher Soldaten in Ex-Jugoslawien wenig opportun ist. Praktisch gefragt ist sowieso etwas anderes. Gemessen an den Milliarden, die die Bundesregierung für die westliche Golfkriegsallianz zur Verfügung gestellt hat, kann sie in Bosnien noch viel tun. Auch UNO-Einsätze ohne Bundeswehr wollen finanziert sein, humanitäre Maßnahmen scheitern meist am Geld, und auch bei Aktionen zur Milderung des Flüchtlingselends sind nicht unbedingt Soldaten gefragt.
Was bleibt, ist die drohende Vernichtung der Opfer des Krieges in eingekesselten Städten wie Sarajevo, Gorazde und anderen Orten des Schreckens. Hier sind SPD wie Friedensbewegung gefordert, nicht ihrerseits eine prinzipielle Haltung vor das praktische Handeln im Angesicht der grauenhaften Probleme zu stellen. Ein internationales Stoßtruppunternehmen nach Gorazde wäre kein Präjudiz für die weitere Verwendung der Bundeswehr. Jürgen Gottschlich
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