: Doppelmord auf Entzug
■ 25jähriger Abhängiger tötete zwei Menschen, weil er 70 Mark für einen Schuß Heroin brauchte
Der Mann hatte sich seinen letzten „Schuß“ am Vorabend der Tat gesetzt. „Hochdosiert“ sei er gewesen, sein täglicher „Bedarf“ habe sich auf 1,5 Gramm Heroin belaufen. Und als er sich am Freitag Abend, den 15. November 1991, auf den Weg gemacht habe, um Geld für neues Heroin zu besorgen, da habe er „schon ganz schön den Affen geschoben“, Entzugserscheinungen gehabt.
Was genau sich dann an diesem Abend gegen 20.30 Uhr in der Gröpelinger Wohnung der 71jährigen Hedwig K. und ihres 50jährigen Sohnes Walter abgespielt hat, daran konnte sich Jörg K. gestern vor der II. Großen Strafkammer des Bremer Landgerichtes nicht mehr erinnern. Er habe an der Tür der Wohnung geklingelt, um sich 70 Mark zu leihen. Die K.s seien entfernte Bekannte seines Vaters gewesen. Schon bei mehreren Adressen hatte er sich vorher vergeblich um Geld bemüht.
„Ich habe gesehen, daß K. Geld in seinem Portemonnaie gehabt hat, aber er hat gesagt, daß er nichts habe“, erklärte der Angeklagte, dann habe er einen „Blackout“ gehabt und könne sich an nichts mehr erinnern. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Mord in zwei Fällen vor: Jörg K. soll die Rentnerin und ihren körperbehinderten Sohn an diesem Abend mit einem Messer erstochen haben, „aus Habgier, und um eine andere Straftat auszuführen“, wie es in der Anklageschrift heißt: Jörg K. habe nach seiner Tat das Portemonnaie eines seiner Opfer geklaut.
Jörg K. bestreitet das nicht. Aber an einen Tathergang kann er sich nicht erinnern. Drei Tage nach der Tat hatte K. sich der Polizei gestellt. Bei seiner dortigen Vernehmung hat er noch Einzelheiten erwähnt, die ihm der Vorsitzende Richter Kurt Kratsch gestern vorhielt. Kratsch zitierte ausführlich Details aus dem Polizeiprotokoll, das damals angefertigt wurde. Danach hatte K. u.a. ausgesagt, daß er zunächst auf Walter K. eingestochen habe, nachdem dieser ihm das Geld verweigert habe, dann auf die Mutter. Walter K. habe ihn angerufen: „Hör auf, Jörg“, und nachdem die Frau auf den Boden gesunken sei, habe er erneut auf den 50jährigen eingestochen, „sechs- siebenmal, bis er mit dem Kopf auf die Sessellehne fiel, und dann das Portemonnaie aus der Gesäßtasche gezogen.“
„Es kann so gewesen sein, ich erinnere mich nicht“, erklärte K. darauf. „Stimmt das denn, was im Polizeiprotokoll steht?“ will der Richter wissen. „Es kann so gewesen sein, ich weiß es nicht“, entgegnet der Angeklagte.
Was nach der Tat passierte, bekommt der Angeklagte mit Lücken wieder zusammen. Er habe sich zunächst bei seinem Dealer mit Heroin versorgt, unterwegs das Messer weggeworfen. Blut habe er an den Kleidern gehabt. Das Messer habe er später wiedergefunden und seinem damaligen Freund Erol Y. zurückgebracht, von dem er es geliehen hatte. Die Kleider, allesamt blutverschmiert, habe er in der Wohnung seiner früheren Freundin gewechselt. Wieder fragt der Richter nach Details: „Welche Schuhe hatten sie an? — War Ihre Hose blutverschmiert? K. ist unsicher.
Was weiß K. noch von seiner Tat? Das Gericht hatte gestern alle diejenigen als Zeugen geladen, denen K. in den drei Tagen zwischen seiner Tat und seiner freiwilligen Festnahme bei der Polizei begegnet war. Alle vier geladenen Zeugen, darunter die frühere Lebensgefährtin des Angeklagten, sind nicht erschienen. Was hat K. ihnen erzählt?
Zur zentralen Frage des Prozesses werden noch Sachverständige gehört: Wie groß war der Druck, unter dem K. zum Zeitpunkt seiner Tat stand? Sind die Entzugserscheinungen so stark, daß das Gericht eine verminderte Schuldfähigkeit feststellen kann? Gutachter Axel Titgemeyer, Neurologe im ZKH Bremen-Ost, löchert den Angeklagten: Wie stark waren Ihre Entzugserscheinungen, als Sie in die Haft eingeliefert wurden?“ Sein „Krankenbericht“ enthalte keinerlei Hinweise auf gravierende, körperliche Entzugssymptome. Kann man von späteren Entzugserscheinungen auf die Heftigkeit der früheren schließen?
Rechtsanwalt Horst Wesemann fährt dazwischen: Ob denn der Gutachter bezweifeln wolle, daß sein Mandant wegen der erheblichen Entzugserscheinungen die Kontrolle über sich verloren und damit vermindert schuldfähig sei? mad
Der Prozeß wird am Montag, 9.00 Uhr fortgesetzt. Landgericht, Raum 218
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen