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Von Austern und Schnecken

Stanley Kubricks „Spartacus“ wird in rekonstruierter Fassung und mit Untertiteln wieder aufgeführt  ■ Von Gerhard Midding

Seit den Tagen Cecil B. DeMilles hat Hollywood immer gern einen verschämten Blick in das schwüle Ambiente römischer Bäder geworfen. So weit wie in „Spartacus“ hatte sich der Blick bis dahin jedoch noch nicht vorgewagt: Dort versucht der Feldherr Crassus (Laurence Olivier) seinen neuen Leibsklaven Antoninus (Tony Curtis) zu verführen, indem er ihm eröffnet, er liebe sowohl Schnecken als auch Austern. Für die Zensur hatte ein solcher Appetit einen allzu obszönen Beigeschmack. Nicht ahnend, daß sie nur die Spitze eines ganzen Eisbergs dekadenter Begehrlichkeiten entdeckt hatte, ließ sie die Szene noch vor der Premiere herausschneiden. Dem Gedächtnis der Filmgeschichte ist sie indes nicht entglitten: In der rekonstruierten Fassung des Films ist sie nun in all ihrer erhabenen Doppeldeutigkeit zu bestaunen.

Die Rekonstruktion von „Spartacus“ — rechtzeitig zum 75. Firmenjubiläum von „Universal“ in Auftrag gegeben — war vor allem eine Restaurierungsarbeit. Anders als bei „Lawrence of Arabia“, der durch nachträgliche Schnitte ganz gravierend seiner inhaltlichen Ambivalenz beraubt worden war, wurden vor der Premiere nur etwa fünf Minuten gekürzt. Außer der Badeszene (in welcher Oliviers Stimme nun von Anthony Hopkins nachsynchronisiert wurde) enthielt man dem damaligen Publikum hauptsächlich Einstellungen aus Gewaltszenen vor: unter anderem Blutspritzer auf Crassus' Toga, nachdem dieser einem Gladiator die Nackenmuskeln durchschnitten hat, und die Einstellung eines Arms, der im Schlachtengetümmel abgeschlagen wird. Dennoch war die Rekonstruktion eine mühselige Detektivarbeit: Es existierte nirgendwo ein vollständiges Originalnegativ.

Robert A. Harris, der zuvor schon mit „Napoleon“ und „Lawrence“ zwei überlebensgroße Heldenbiographien restauriert hatte, mußte mehr als 2.000 Filmbüchsen sichten, bis er eine integrale Fassung herstellen konnte. Das Erinnerungsvermögen des Cutters Robert Lawrence, dessen Arbeit an „Spartacus“ seinerzeit für den Oscar nominiert wurde, war ihm dabei eine unschätzbare Hilfe. Ihnen ist es gelungen, dem Film seine verlorengegangene Schönheit zurückzugeben. Kameramann Russell Metty hatte ihn in „Super Technirama 70“ gedreht, einem Breitwandformat, das aus „Cinemascope“ und „Vistavision“ hervorgegangen war. Nun eine 70-mm-Kopie zu sehen, bedeutet, Mettys Farbpalette in ihrer Brillanz und ihrem Kontrastreichtum sehen zu können. Die eleganten, raumgreifenden Kamerafahrten, mit denen sich Stanley Kubrick und sein Kameramann eine Welt sieben Jahrzehnte vor Christi Geburt erschlossen, sind auf der großen Leinwand von atemberaubender Plastizität.

Der Film ist seit seiner Premiere 1960 besser gealtert als ein Großteil der Monumentalfilme, die seinerzeit in Mode waren. „Spartacus“ fehlt deren schwerfällige Feierlichkeit; auch politisch ist die Geschichte vom Sklavenaufstand, der Rom beinahe in die Knie zwang, erheblich avancierter. Dies mag hauptsächlich auf das Konto des linken Romanautors Howard Fast gehen, verdankt sich aber auch dem Drehbuch Dalton Trumbos. Dieser hat den Anspruch der unbedingten Loyalität, den Rom an seine Untertanen stellte, in seinen pathologischen Tiefen ausgelotet. Daß später von „Schwarzen Listen“ die Rede ist, ist weit mehr als nur ein inside joke: Trumbo war unter McCarthy zwölf Jahre lang durch eine solche Liste in Hollywood geächtet worden. Das Drehbuch hatte er noch unter dem Pseudonym „Sam Jackson“ geschrieben. Als die Produzenten — Kirk Douglas und Edward Lewis — sich bereit erklärten, seinen richtigen Namen zu nennen, war dies ein entscheidender Schritt, die Hexenjagd der McCarthy-Ära zu beenden.

Regisseur Stanley Kubrick, für den dies der einzige Film seiner Karriere war, über den er keine absolute Kontrolle hatte, konnte sich nur schwer mit Trumbos Szenarium abfinden. Tatsächlich beruht es auf einem sehr einfachen, aber kraftvollen Prinzip: der Parallelmontage, die verläßlich zwischen den gegnerischen Parteien wechselt. Den Machthunger und die Dekadenz der Römer konstrastiert es mit der entschlossenen Freiheitsliebe und gesitteten Lebensfreude der ehemaligen Sklaven. Das Spiel mit These und Antithese läßt sich bis ins Detail fortsetzen: Die römischen Aristokraten werden größtenteils von britischen Schauspielern verkörpert, ihre Gegner von Amerikanern. Auch in Alex North' brillanter Partitur mit ihren scharfen Zäsuren und raschen Tempiwechseln klingt der Pendelschlag der Gegensätze nach.

In Trumbos Drehbuch mochten die moralischen Grenzlinien noch eindeutig gewesen sein, die Schauspieler verwischen sie dann aber lustvoll. Allen voran Peter Ustinov als opportunistischer Sklavenhändler, Charles Laughton als ironischer Pragmatiker Gracchus und Olivier als Crassus. Er ist besessen davon herauszufinden, weshalb es jemand wagen kann, das große Rom herauszufordern. Er verzweifelt schließlich an der Unbeugsamkeit seiner Gegner, die sich auch seinen erotischen Eroberungszügen widersetzen. In dieser Figur bestätigt sich Hitchcocks Regel: „Je stärker der Gegenspieler, desto besser der Film.“ Denn allein auf den Schultern des Titelhelden Kirk Douglas mag er nicht ruhen: Trotz seiner hitzigen, athletischen Präsenz bleibt er nicht mehr als ein Symbol für Lauterkeit und Gerechtigkeitssinn.

Immer stärker wird dementsprechend die Faszination, welche die Ranküne und Machtkämpfe im römischen Senat auf Kubrick ausüben, was für die Schauspieler bedeutet, daß sie nicht mit spektakulären Massenszenen wetteifern müssen: An den für die Handlung unabdingbaren Schlachtszenen interessiert den Regisseur lediglich deren Logistik und ihre tragischen Auswirkungen.

Spektakulär ist an dem Film deshalb vor allem das überraschende Maß an Intelligenz, das von allen Seiten in ihn eingeflossen ist, angefangen mit Saul Bass' Vorspann, in dem er ein Scherbengericht über den Glanz des römischen Weltreiches hält. Es gibt wenig in dem Film, gegen das sich ein moderner Verstand empören müßte, obwohl ich nicht verschweigen will, daß eine Drehbuchschwäche mich immer besonders fasziniert hat. Sie betrifft die Szene, in der Spartacus den Sklavenaufstand auslöst. So, wie sie geschrieben und inszeniert ist, hatte ich immer den Eindruck, er zettelte den Aufstand nur deshalb an, weil seine geliebte Varinia (immerhin: die bezaubernde Jean Simmons) verkauft wird und das Sklavenlager verlassen muß. Sollte sich diese entscheidende Weltminute nur aus schmerzlich unerfüllter Liebe zugetragen haben? Der Romantiker in mir möchte das gerne glauben. Aber der Realist weiß, daß es Hollywood seit jeher verstanden hat, aus dem Fonds von Mythos und Historie die schönsten Liebesgeschichten zu kochen.

„Spartacus“. USA 1960/61. Regie: Stanley Kubrick, mit Kirk Douglas, Laurence Olivier, Jean Simmons u.a., 197 Minuten, mit Ouvertüre und Pausenmusik. Rekonstruktion: Robert A. Harris, Robert Lawrence u.a.

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