London schiebt Kriegsflüchtlinge ab

Berlin (taz/AFP) — Ohne auch nur ihre Geschichte anzuhören, hat die britische Regierung im vergangenen Monat 36 Flüchtlinge aus dem früheren Jugoslawien abgeschoben. In den sechs Monaten zuvor wurden schon 28 Ex-JugoslawInnen abgeschoben, weitere Aktionen dieser Art sind geplant. Die Hilfesuchenden aus dem Kriegsgebiet werden direkt bei ihrer Ankunft auf der britischen Insel in Abschiebehaft genommen und nach wenigen Tagen außer Landes gebracht. Einen 28jährigen Deserteur aus Dubrovnik, dessen Anwältin gegen die Abschiebung Protest einlegte, behandelten die britischen Behörden wie einen regulären Kriminellen: Vor seiner Abschiebung schickten sie ihn nach Cambridge ins Gefängnis.

Die meisten Flüchtlinge wurden in andere europäische Länder abgeschoben, zwei in die Türkei und einer in die USA. Das Londoner Innenministerium begründet die Abschiebungen, die seit Anfang der Woche in das Kreuzfeuer öffentlicher Proteste geraten sind, mit der „Dubliner Konvention“. Nach dieser 1990 von der Europäischen Gemeinschaft vereinbarten Konvention können Flüchtlinge nur in dem EG-Land Asyl beantragen, in dem sie als erstes angekommen sind. Alle anderen Länder, die sie später anreisen, haben das Recht, die Flüchtlinge in das erste Land abzuschieben, vorausgesetzt, es gilt als „sicheres Asylland“.

Zugleich verweist Innenminister Kenneth Clarke darauf, daß die britische Regierung „großzügig“ gegenüber normalen Reisenden aus Ex-Jugoslawien verfahre: in den vergangenen Monaten habe sie jeweils rund 4.000 Touristen ins Land gelassen. Dabei verschwieg der Innenminister, daß vor Beginn des Kriegs mindestens um die Hälfte mehr jugoslawische TouristInnen auf die Insel kamen.

Die britische Entscheidung, die Flüchtlinge abzuschieben, war gegen die Empfehlung des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) zustandegekommen. Dessen Londoner Vertreter, Frank Krenz, hatte die Regierung bereits im Juli aufgefordert, im Fall der Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien die Last mit den anderen europäischen Ländern zu teilen und großzügig zu verfahren.

Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen protestierten gestern in London gegen die Abschiebungen. Damit schotte die Regierung das Land praktisch gegen Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien ab. Denn es gebe seit Kriegsbeginn keine Flugverbindungen mehr. Als „beschämend“ bezeichnete es der Generalsekretär der britischen Hilfsorganisation für Immigranten, Claude Moreas, daß die britische Regierung ausgerechnet während ihrer EG-Präsidentschaft die Verantwortung für die Flüchtlinge abschiebe, statt „anderen ein Beispiel zu geben“. Die Londoner Tageszeitung Independent bezichtigte gestern die Regierung, die sich gerne ihrer liberalen Asylpolitik rühmt, der „Heuchelei“. Eine Sprecherin des UNHCR sagte, durch den Krieg auf dem Balkan sei eine Ausnahmesituation entstanden, die eine Massenflucht zur Folge habe. Genau wie andere europäische Länder auch, müsse Großbritannien „seinen Teil übernehmen“.