Neonazis werden immer mehr und immer jünger

■ Verfassungsschutz vermeldet alarmierenden Zuwachs rechtsextremer Gewalt/ Sogar die „Bild“-Zeitung findet das schaurig

Hamburg (dpa/taz) — Die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten in der Bundesrepublik Deutschland hat im vergangenen Jahr drastisch zugenommen. Gleichzeitig haben die rechtsextremistischen Organisationen und Gruppierungen etwa 20 Prozent mehr Mitglieder bekommen. Das berichtete gestern die Bild-Zeitung unter Berufung auf den noch nicht veröffentlichten ersten gesamtdeutschen Verfassungsschutzbericht. Bekannt marktschreierisch auf Seite 2 der gestrigen Ausgabe stand da zu lesen: „40.000 Nazis“. Das Massenblatt hält das Ergebnis des Verfassungsschutzberichtes, den Innenminister Rudolf Seiters (CDU) heute der Öffentlichkeit vorlegt, für „schaurig“: „Die Rechtsextremen sind weiter auf dem Vormarsch.“

Nach den jüngsten Ermittlungen des Verfassungsschutzes hat sich die Zahl der einschlägigen Gewalttaten 1991 im Vergleich zum Vorjahr mehr als verfünffacht — von 270 auf über 1.300. Mehr als 30 Prozent der Straftaten wurden in den fünf neuen Bundesländern verübt, 70 Prozent der Täter sind zwischen 16 und 20 Jahren alt. 48 Prozent der ermittelten Tatverdächtigen stammen aus den neuen Ländern.

Die Schätzungen des Bundeskriminalamtes (BKA) in Wiesbaden weisen eine noch erschreckendere Steigerungsrate rechtsextremer Straftaten aus. Bereits im Januar dieses Jahres hatte das BKA gemeldet, daß 1991 in Deutschland 2.368 Straftaten gegen Asylbewerber oder andere ausländische Bürger verübt worden seien. Damit hätte sich die Zahl rechtsextremer Gewalttaten im Vergleich zum Vorjahr sogar um das Zehnfache erhöht.

Höhepunkt rassistisch motivierter Übergriffe war laut Bundeskriminalamt der Oktober 1991 mit 950 Straftaten. Damals waren 338 Brandanschläge und 241 direkte körperliche Angriffe registriert worden.

Zentren ausländerfeindlicher Kriminalität lagen in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Sachsen, Stichwort: Hoyerswerda...

Der Verfassungsschutz registrierte im letzten Jahr rund 40.000 deutsche Mitglieder in 76 rechtsextremistischen Organisationen. Fast 4.200 davon zählt der Verfassungsschutz zum neonazistischen Gewaltpotential. Die Bild-Zeitung beschreibt die 4.200 als „äußerst gewalttätige Skinheads“; nach Ermittlungen der Verfassungsschützer haben die Skinheads keine überregionalen Befehlsstrukturen und arbeiten in kleinen Gruppen. 1990 waren noch 32.300 Rechtsextreme in 69 Gruppierungen organisiert.

Im linken Spektrum registrierte die Kölner Verfassungsbehörde nach Bild-Informationen 25.000 Extremisten: Autonome, Marxisten/Leninisten und Mitglieder revolutionärer Zellen.

Insgesamt wird die Zahl der Extremisten von rechts und links in der Bundesrepublik auf mehr als 120.000 geschätzt. Der Verfassungsschutz schätzt die Zahl der unentdeckten Agenten aus dem zerfallenen Ostblock in Deutschland auf immer noch 2.000. Konkret gehen die Strafverfolgungsbehörden nach diesem Bericht rund 700 Spionagefällen nach.