piwik no script img

DIE KLEINE MEDIENPRAXIS — FRAU DR.MONIKA ZUM WARTEZIMMER

Sie wollen wissen, warum die Praxis in der letzten Woche geschlossen blieb? Einige von Ihnen kann ich beruhigen. Ich bin nicht der Seehoferschen Gesundheitsreform zum Opfer gefallen. Ich bin auch nicht, wie andere vermuteten, gemeinsam mit meinem Kollegen von der Beißerfront gegen die unzumutbaren Beschneidungen meiner Pfründe auf die Straße gegangen. Nein, es war alles viel banaler.

Nachdem ich zwar nicht aus heiterem Himmel (es war stark bewölkt und regnerisch), aber dennoch überraschend und unerklärlich, von hunderten kleinen roten Pickeln heimgesucht wurde, blieb mir nach einigen Tagen nichts anderes übrig, als die Fronten zu wechseln und selbst unter die Ratsuchenden zu gehen. Bei manchen Arztbesuchen ist das Verhältnis zwischen Aufwand und Ergebnis genauso erschreckend wie die Diskrepanz zwischen Input und Output in der Fernsehwelt. Stunde um Stunde sitzt man in irgendwelchen Wartezimmern, zusammengepfercht mit zig weiteren Leidenden, um anschließend in drei Minuten mit den gemurmelten Worten „Wahrscheinlich eine Allergie“ und einem Rezept in der Hand die geheiligten Hallen des Herrn Doktor wieder zu verlassen.

Da saß ich nun beim Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, umgeben von Nachbarn mit Ausschlägen, Furunkeln, Allergien, Tripper und Herpes. Um nicht ständig dem leibhaftigen Elend ins Auge blicken zu müssen, wanderte mein Blick zu den ausliegenden Zeitschriften. Doch was wurde uns geplagten Menschen zur Ablenkung serviert: Nein, nicht wie erhofft die letzte Ausgabe der Titanic, auch kein GEO-Sonderheft mit wunderschönen Urlaubsträumen, noch nicht mal der letzte Spiegel oder Stern. Über ein paar zerfledderten Readers Digest-Heftchen breiteten sich Pralinen und Neue Revuen aus. Angesichts der eigenen körperlichen Verfassung war in diesem Wartezimmer selbst den Unverbesserlichsten die Lust an Pin Ups und Bettgeschichten vergangen. Sogar die breitbeinig neben mir flegelnde Rambo-Billigversion warf die Schundblättchen nach einem kurzen, frustrierten Blick wieder auf den Haufen, kramte seinen Walkman hervor und schloß angewidert beide Augen. Auch für die „ausgewählten Artikel“ der Readers Digest-Redaktion konnte sich niemand begeistern. Seufzend blickten einige aus dem Fenster, andere popelten den Dreck unter ihren Fingernägeln hervor oder fingen an, nervös an ihren Ekzemen zu kratzen. Ein paar der Patienten waren wohl Dauerkunden, denn die hatten schlauerweise ihre eigene Lektüre mitgebracht.

Zwei Tage später bei einem Hals-, Nasen- und Ohrenarzt begegnete mir das gleiche Elend. Neben der Apothekerzeitung die letzten Nummern der Freizeit-Revue, ein paar Bilder aus der Wissenschaft, das Goldene Blatt und zwei Ausgaben der Freundin, die bei diesem Angebot natürlich schnell vergriffen waren. Auch hier lag die miese Stimmung meterdick in der Luft. „Schade, daß mein Arzt gerade im Urlaub ist“, sagte mein Nachbar, „den kann ich Ihnen nur wärmstens empfehlen“. Als ich ihn fragte, ob der denn so eine Koryphäe auf seinem Gebiet sei, zuckte er nur mit den Schultern. „Wer weiß das schon“, sagte er. „Aber der hat nicht nur die besten Zeitschriften und Bücher in der Stadt, sondern noch ein zweites Wartezimmer mit Kabelanschluß.“

Herzlichst Ihre

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen