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Dürftig, und will es sein

Jurek Beckers neuer Roman  ■ Von Sven Hanuschek

Nach sechs Jahren literarischer Enthaltsamkeit hat Jurek Becker einen neuen Roman veröffentlicht: „Amanda herzlos“. Es ist ein Buch männlicher Konstruktionen, die Titelfigur tritt nur in den Erzählungen ihrer drei Männer auf.

Amandas erster Ehemann und Vater des Sohnes Sebastian heißt unglücklicherweise Ludwig Weniger (alle Figurennamen sind unnötig prätentiös). Er plaudert zu seinem Scheidungsanwalt vom vergangenen Leben mit Amanda, die um so sympathischer wird, je mehr sich Weniger als geiziges, grobes Ekel entpuppt, konform zu allem, was die DDR der siebziger Jahre von einem Sportreporter verlangte. Obendrein betrügt er seine Frau, auch mit ihrer besten Freundin Lucie Capurso (doch, so heißt sie). Letzter Anlaß zur Scheidung, doch wahrlich nicht der Grund, ist eine versuchte Vergewaltigung im volltrunkenen Zustand, die Amanda mittels einer Nachttischlampe verhindert. Schon Agnes Krägeloh schrieb 1926 in ihrem Werk „Diskrete Fragen über des Weibes Schönheit und Gesundheit“: „Vor allem, meine Damen, halten Sie sich Ihre Männer im Rausch fern!“ Weniger bemerkt, Amanda habe ihre Zimmertür nicht versperrt, ihr fehle die Erfahrung im Umgang mit Betrunkenen. „Da ich der Schuldige bin, will ich jede Meinung zurückhalten, ob Amanda sich nicht auf weniger brachiale Weise hätte wehren können.“

Der zweite Versuch der dunklen Frau ist ein dissidentenhafter Romanschriftsteller, Fritz Hetmann. Die Verbindung währt immerhin sieben Jahre, und Becker erzählt, wie Hetmann erzählt, daß er in einer Novelle erzählen wollte, wie diese „wilde“ Ehe ausgesehen hat. Die Novelle selbst bleibt uns erspart, weil „der kleine Dreckskerl“ Sebastian vermutlich die Diskette gelöscht hat; der Erzähler Hetmann schwankt fortwährend zwischen Erinnerungen an „Die verlorene Geschichte“, so heißt dieses Kapitel, und an deren Grundlage. Dabei fallen reichlich Bemerkungen zur Macht des Zensors an, der schon in seinem Kopf immer mitschrieb, auch zwischen den Zeilen und an gezielten Provokationen zur Beförderung des Dissidentenstatus' sowie zur Lügenhaftigkeit der Literatur überhaupt: „Wir beide, auf die Spitze getrieben“, das sei es, was ihn an der Novelle „so zufrieden“ gemacht habe. Kurzum, es wäre ein zahnloser Text geworden, eine verlogene Geschichte voll nichtsnutziger Privat- Symbolik.

Auch die „kunstvolle Verschränkung“ im Roman hat einen Stich ins Kunstgewerbliche, klingt verdächtig oft nach Parodie inzwischen recht billiger Techniken der Moderne. Die Figur Hetmanns ist eine Provokation — einer der Schriftsteller, die seit der „Einheit“ ihr Auskommen nicht mehr finden, weil ihr Dissidentenbonus wegfällt.

Diese ersten Herren sind von der Bürokratie gebeugt, in Konventionen erstarrt, zu eigener Verantwortung nur bedingt fähig, und sie erzählen auch so: mit unterschiedlichem Kunstaufwand zwar, beide falsch wie ein Schwur im Suff, und zäh. Das muß auch so sein, denn ihnen folgt der unbedarfte sunnyboy Stanislaus Doll, ein weiterer Journalist, diesmal aus der BRD. Sein Tagebuch hat einen ganz anderen Ton — frisch und unverkrampft. Doll hat wahrscheinlich „Aller Welt Freund“ von Jurek Becker gelesen, brät aber Spiegeleier mit größerem Erfolg als dessen Protagonist. Er lernt Amanda über Hetmann kennen: „Ich könnte beide einladen, sagen wir ins Palasthotel, der Sender würde sogar die Rechnung bezahlen, aber was dann? Nachher kommt Hetmann allein, wir sitzen wie die Handlungsreisenden, er redet über den Vormarsch der Unkultur, wir essen Tournedos à la Rossini, und ich sterbe.“ So weit kommt es nicht, diese Liebe wenigstens scheint zu glücken. Sie leben alsbald zusammen, und um sich nicht trennen zu müssen, heiraten sie sogar. Die Agonie des Landes DDR wird immer anstrengender, „die Einfaltspinsel im Außenministerium glauben, wir Journalisten seien schuld daran, daß immer mehr Leute das Land verlassen wollen“, aber ein Jahr vor dem Fall der Berliner Mauer wird der Umzug in den Goldenen Westen genehmigt, in dem es an jeder Ecke Bananen zu kaufen gibt; und „so ein Unglück ist das ja auch nicht“.

Ist nun Amanda eine der Frauen von „kalter Natur“, von denen Agnes Krägeloh schrieb, sie seien „sonst musterhafte Hausfrauen“, enthielten sich aber nicht, „ihren Abscheu gegen geschlechtliche Umarmung auszudrücken und den Umgang mit dem Manne zuweilen sogar zu verweigern“? Müßige Frage; neben anderen Männer-Projektionen erledigt sich auch das Klischee von der geheimnisvollen, undurchschaubaren Frau in Dolls Tagebuch, die Herzlose wird durch seinen Blick verständlich(er). Sie handelt und entfernt sich so von einem überaus freundlichen Porträt derer „aus dem Osten“ durch eine Nebenfigur aus dem Westen: „Sie sind es gewohnt, in Gehegen zu existieren, alles Unerwartete versetzt sie in Panik. Sie haben etwas Kuhiges, sie malmen ihr Gras, glotzen den Horizont an und wollen pünktlich gemolken werden.“ Von der faulen und auftragslosen Journalistin, später unsicheren Romanschreiberin, avanciert sie zur Ghostwriterin Dolls; daraus bezieht sie den Mut, ihren Roman erneut in Angriff zu nehmen und sich ein anderes Land zu suchen, mit welchem Ausgang auch immer.

Private Geschichten stehen gegenüber der real existierenden Stasi- Bürokratie im Vordergrund: Der Anti-Pathetiker Becker erzählt lieber, als seine guten Absichten auszustellen. Er tut das mit einer Leichtigkeit, die nicht auf kommende Zeiten schielt, fern von Narzißmus, Weinerlichkeit, Exotismus.

Die Stärke des Romans liegt nicht in seinem Plot — er ist dürftig und will es sein. Becker hat sich Joyce' Forderung nach Gewöhnlichkeit verschrieben, sein Buch strotzt von komischen, lakonischen und genauen Beobachtungen zu einem vergangenen Alltag, der aufgehoben wird. Daß der andere Alltag der Bundesrepublik ein erstrebenswerter Endzustand sei, ist bei der umfassend ironischen Schreibart von „Amanda herzlos“ nicht zu erwarten; was Becker von ihm hält, hat er an anderen Orten deutlich genug gesagt, und deshalb ist das zartgraue Hollywood- Ende tatsächlich ein schwarzes Loch. In einer seiner Frankfurter Vorlesungen schrieb er: „Die moderne, freiheitliche, demokratische Industriegesellschaft bringt uns um, nicht mehr und nicht weniger. Und zwar nicht allegorisch, sondern buchstäblich. Und nicht nur uns, in der näheren Umgebung, sondern alle: die Menschheit. Die Welt geht unter, und man weiß nicht recht, was zu tun ist, man hat keine Übung in derlei Angelegenheiten.“

Jurek Becker: „Amanda herzlos“. Roman. Suhrkamp 1992. 384Seiten, 42DM.

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