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Deutschland küßt dich

■ Von der Schwimmflosse „Franzi“ zum Sexobjekt

Nach dem Medaillensegen ist die mediale Verwurstung der Reste dran. Das gilt besonders für das Schwimmtalent Franziska van Almsick — aus ihren frischen 14 Jahren wird der uralte Mythos gebastelt „halb Kind, halb Frau“. „Deutschland küßt Dich!“ droht ihr folgerichtig die „große bunte Montags-Illustrierte“, die aktuelle, an. Es paßt auch wirklich alles zu gut zusammen: Aus Ost-Berlin kommt sie, hat keine Scheu, sich in engen Badetrikots zu zeigen, und noch keinen Freund. Daraus entsteht fast wie von selbst ein gesamtdeutsch-pädophiler Wunderartikel.

Die Mixtur aus Kindchenschema, Sex-Appeal und Nation wird dabei genau kalkuliert. Abwechselnd sitzt der „süße Wasserfloh“ (die aktuelle) am „weißen Jungmädchenschreibtisch“, hängt in 50er-Jahre-Erotikpose an der Takelage eines Segelbootes (Neue Post) oder tröstet eben die uneinigen Herzen der Deutschen: Da schwimmt jetzt wenigstens „unsere Franzi“ drin (die aktuelle).

Das schärfste Sex-Konzentrat zielt das Cover der Bunten an: Breit lachend, mit kräftigen Jungenshänden umspannt Franzi den noch wachsenden Busen. Aber selbst hier sind bildsemiotische Bremsen eingebaut— das blau-weiße Schürzenkaro des Badeanzugs garantiert Keuschheit, die windzerzausten Haare evozieren „Wildfang“. Wer mehr von Franzi will, muß zur Super Illu greifen. Da wird reichlich Bein serviert und ein Ganzkörperfoto mit „ein paar Daten über ihren Körper“. Bei „Unterleib“ steht da, mit Pfeil auf diese Körperzone: „Franzi steuert ihre Monatsregel nicht durch die Monatspille. Frei von Doping-Verdacht.“ So viel unberührte Natur bei einer Spitzensportlerin, darauf haben wir doch schon lange gehofft.

Ebenfalls in Super Illu sollen sich die über inzestuösen Kindsmißbrauch so aufgeregt empörten Bundesbürger noch guten Gewissens delektieren können. „Meine tolle Familie“ steht treuherzig unter dem Foto, das Franzi mit Eltern auf dem Sofa der Almsicks zeigt. — Und als Dauerbrenner verspricht der Titel: „Franzis Tagebuch: Mädchengeheimnisse!“ Friedericke Meyer

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