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Murmeltierschießen

■ RTL-Talk-Show „Die Gailtalerin“, 15.8., 22 Uhr

Wer bisher gemeint hat, daß die Schmerzgrenze bei Unterhaltungsshows erreicht sei, muß sein Urteil spätestens ab morgen von Grund auf revidieren. Dann nämlich startet RTLplus seine neueste Attacke auf das Seh- und Stehvermögen deutscher TV-Zuschauer. Angekündigt als teutonische Antwort auf „Dame Edna Megastar“ will der Kölner Privatsender deutsche TV-Geschichte schreiben. Allerdings in österreichisch-deutscher Kooperation. „Die Gailtalerin“ (Buch: Marie Reiners und Klaus D. Rottwinkel, Produktion: Dolezal und Rossacher, bislang produzierten sie Musikvideos) verkörpert Manfred O. Tauchen, der zusammen mit Wolfgang Ambros und Joesi Prokopetz einst diese alpenländische Brunhilde zur Hauptfigur des Kultstückes der siebziger Jahre „Der Watzmann ruft“ erkor.

Zwanzig Jahre danach haben die Kölner das Echo gehört, und so hat nun Tauchen jeden zweiten Samstag abend ab 22 Uhr eine ganze Stunde Zeit, die Leidensfähigkeit seiner Small-talk-Gäste vorzuführen. Angekündigt sind „Größen“ aus Show, Unterhaltung, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Die sind für einen 15minütigen Auftritt zur attraktivsten Sendezeit bereit, eine Menge zu leiden. Gegen die Sottisen der „Gailtalerin“ sind Karl Dalls Blödeleien ein wahrhaft philosophischer Diskurs. Wenn Tauchen als vollbusige Sennerin, assistiert von einem dauerbrünftigen Knecht und einer dümmlich-devoten Magd, sich mit schriller Stimme einen Gast vornimmt, hätte dieser, soweit männlich, seinen Oberkörper ruhig zu Hause lassen können. Das Geplänkel beginnt und endet unter der Gürtellinie, und die sitzt bei RTL bekanntermaßen ziemlich tief.

Zwar schlagfertig und gut informiert ob der „kleinen“ Laster seiner Opfer, sei es nun Fritz Weppers Drogenjagd, Christine Schuberths Figurprobleme oder Corinna Drews Begründung für ihre ständigen Schwangerschaften: „Es gibt drei Väter, jeder zahlt.“ Tauchens Gespräch dreht sich immer nur um den kleinen Unterschied. Schließlich folgt ja auch im Anschluß daran der „Erotik-Wunschfilm der Woche“. Seine Gäste nehmen es hin, der Publicity willen. Wenn auch manchmal mit gequälter Miene. Der Höhepunkt der Geschmacklosigkeiten aber kommt zum Schluß. Torwandschießen. Doch wer fußballerische Höchstleistungen erwartet, wird bitter enttäuscht. Getreten wird auf kleine schnucklige Murmeltierchen. Erst streicheln, aber dann voll drauf. Alles nichts — oder? Doch. Nur voll daneben. Georg von Grote

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