: Offener Brief eines Ohnmächtigen gegen den Krieg
Bisher sprach ich mit einzelnen Mitbetroffenen, Landsleuten und Kosmopoliten, hielt Reden bei kleinen Friedenskundgebungen, schrieb Leserbriefe an die Zeitungen, betete für den Frieden auf dem Balkan.
Dazwischen Anrufe bei den Verwandten und Freunden in Kroatien und Bosnien, oft erfolglos.
Der Feierabend bestimmt von den Nachrichtensendungen, die tagtäglich mit der Hölle von Sarajevo beginnen. Jede volle Stunde von neuem: das Ohr an den Radiosender, den Blick auf die Mattscheibe, in der irrationalen Hoffnung eines kleinen Kindes, ein Wunder könnte plötzlich geschehen sein... Statt dessen die Gewißheit, daß es nach den neuen „Friedensverhandlungen“ nur noch schlimmer werden wird. Meine Briefe an die Politiker und die Medien nahmen dann zu, Briefe eines Ohnmächtigen gegen den Krieg.
Als bosnischer Kroate bin ich betroffen vom Leiden meiner Landsleute auf dem Balkan, verübt durch meine Ex-Landsleute, die mir fremder geworden sind als alles zuvor.
Betroffen bin ich aber auch von den Reaktionen der internationalen Politik und Öffentlichkeit auf diesen Krieg, von ihrer Inkompetenz, Heuchelei und Gleichgültigkeit, ja von ihrem Zynismus. Als Europäer erkenne ich die Europäische Gemeinschaft nicht mehr, sie scheint ebenso zu zerfallen wie der Warschauer Pakt, die UdSSR und Jugoslawien, aber anders. Sie zerfällt nicht durch Abbröckeln oder Abschlagen der Teile, sondern durch eine kompakte Erstarrung in der Gleichgültigkeit. Und ich sehe ein wieder zunehmend isoliertes Deutschland, diesmal mit anderen Vorzeichen. Ein Deutschland, das mir seit Beginn dieses Balkankrieges näher ans Herz gewachsen ist als in den 20 Jahren meines Aufenthaltes hier zuvor. Ein Deutschland, das auch Fehler bei den Vermittlungen im Balkankrieg gemacht hat, während die anderen lieber nach dem Motto handeln: Tue nichts, so machst du auch keine Fehler. Kritisiere die Tätigen und schicke die UN-Tätigen, wenn das Unglück schon passiert ist. Und jetzt schreibe ich an alle, die ich vielleicht erreichen kann, suche Dialog — um nicht vom Haß vergiftet zu werden, um nicht in Gleichgültigkeit zu erstarren. Suche Bosnien, suche Europa irgendwo in dieser Welt, zwecks Zusammenleben. Wie eine Kontaktanzeige. Antwort erwünscht. Gari Pavkovic, Stuttgart
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