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KOMMENTAREWo steht der Feind?

■ Der Verfassungsschutz in der Sinnkrise

Trotz RAF-Moratorium und Teilrückzug der Revolutionären Zellen: dem Verfassungsschutz fällt der Abschied von seinen gewohnten Feindbildern auf der Linken erkennbar schwer. Ohne irgendeinen Beweis in den Akten zu haben, wird da beispielsweise der Mord an dem Berliner Senatsbeamten Hanno Klein einer „linksterroristischen Kleingruppe“ zugeordnet. Daß die Berliner Strafverfolgungsbehörden nie an diese Version glauben mochten, sondern bis heute eine Camarilla von Baumafiosi und Ex-Stasi-Mitarbeitern als Täter vermuten, daß sogar die Berliner Staatsanwaltsschaft vor kurzem wieder die Ermittlungen aufgenommen hat, um dieser Fährte nachzugehen, will man beim Verfassungsschutz offenbar nicht wahrhaben. Geradezu lächerlich ist es, den Münchner Weltwirtschaftsgipfel als Großkampftag der Autonomen anzuführen. Da wird die Prügelorgie der Polizei von Verfassungsschützern in Hintergrundgesprächen zu einer autonomen Steinewerfer- Olympiade umgelogen. Genauso fragwürdig ist es, den 1. Mai in Berlin noch in diesen Zusammenhang zu stellen. Niemand wird bestreiten, daß es in Kreuzberg alljährlich zu Straßenschlachten kommt. Doch daß hier in erster Linie politische Motive eine Rolle spielen, glaubt zumindest in der Hauptstadt schon lange keiner mehr. Die Verfassungsschützer können sich in einer Welt ohne nennenswerte Bedrohung durch „linke Gewalttäter“ offenbar nicht zurechtfinden. Jahrzehntelang lag die „Existenzberechtigung“ des VS in der Observation von Linksextremisten. Je inaktiver diese sind, desto überflüssiger wird folglich die Institution.

Das Ergebnis ist eine veritable Sinn- und Legitimationskrise. Da der Bericht von 1991 zum ersten Mal mehr Mitglieder in rechtsextremen als in linksextremen Organisationen aufweist und auch der KGB nicht mehr das ist, was er mal war, ist klar, wohin die Reise geht: Mehr noch als in diesem Jahr wird der Innenminister die Notwendigkeit der Behörde in zwölf Monaten mit der neonazistischen Gefahr begründen. Wäre der Verfassungsschutz tatsächlich in der Lage, solche Straftaten zu verhindern, wer wollte seine Arbeit in Frage stellen? Die Erfahrungen der vergangenen Jahre aber zeigen, daß die Behörde in Köln zu einer tatsächlichen Aufklärung nichts beigetragen hat. Die Verfolgung von Straftaten, ganz gleich, aus welchen Gründen sie begangen worden sind, sollte deshalb ausschließlich Sache der Polizei sein. Die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes brauchen kein neues Observationsobjekt, sondern einen Sozialplan. Claus Christian Malzahn

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