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Förster im Zauberwald

■ „Urwald Baumweg“: Das Panoptikum aus Holz und Laub soll kultiviert werden

Hänsel und Gretel hätten sich im „Urwald Baumweg“, einem Waldstück rund zehn Kilometer nordöstlich der Kreisstadt Cloppenburg, sicherlich nicht verirrt. Denn vom dem Waldgebiet, welches im Mittelalter einmal 1.235 Hektar groß gewesen war, ist im heutigen Revier „Baumweg“ nur noch ein knapp über 30 Hektar großer Baumbestand übriggeblieben. Dennoch hat dieser Forst, dessen urig anmutender Pflanzenwuchs ihm den Namen „Urwald“ einbrachte, etwas von einem Märchenwald.

Hier stehen die Eichen, Buchen und Erlen, die Lärchen, Kiefern und Fichten nicht wie anderswo in deutschen Wäldern in Reih und Glied aufgepflanzt, sondern liegen in oftmals bizarren Formen wie Kraut und Rüben durcheinander. Aufrecht stehend gestorben, zu Boden gebeugt, am Erdboden schlängelig dahinkriechend, korkenziehergleich zum Himmel empor geschroben.

Kronen und Geäst der Eichen scheinen im Wuchs gewaltsam gebremst, wirken wie enthauptet, verkrüppelt und amputiert. Zwischen den unheimlichen, zum Teil mit Schlinggewächs umrankten Stämmen stehen hohe Farne und Gräser.

Entstanden ist dieses Unikum von Urwald in den vergangenen Jahrhunderten vor allem durch die Weidebewirtschaftung des Menschen. Noch bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts, sozitiert Revierförster Klaus Neumann aus alten Unterlagen, grasten in dieser „Laubweide“ Zehntausende von Schafen und Ziegen. Sie fraßen die niedriggekappten Bäume kahl, zerknabberten Rinde, Triebe und Sprößlinge und zerkauten das Wurzelwerk im Boden. Im Überlebenskampf gebaren die Bäume Mutationen von zu Holz erstarrten Waldgeistern und Kobolden.

Der rücksichtslose Raubbau im „Baumweg“, durch brutalen Holzeinschlag, willkürliche Brandschatzung und Abtragung des Bodens für die Düngerherstellung noch verschlimmert, verhinderte nicht seine Bestimmung als „Bannwald“ durch die Fürstbischöfe von Köln und Münster. Sie, wie die vorhergehenden und nachfolgenden Landesherren, nutzten ihn als „gefreytes Hegeholtz“ für ihre Jagdleidenschaften, kümmerten sich indes wenig um den Schutz seines Bestandes.

Einer von Neumanns Amtsvorgängern klagte denn auch im Jahre 1780, „daß auf den ganzen Baumweg kein Stück Holz zu finden sei, welches zum Bauen dienlich, noch viel weniger zu Gelde gemacht werden könne“.

Der Restbestand des seinerzeit noch 300 Hektar großen „Urwaldes“, dessen Baumbestand immerhin bis zu 300 Jahre alt ist, liegt im heutigen Naturschutzgebiet „Baumweg“ und gehört zum Naherholungsgebiet „Wildeshausener Geest“.

Zum 1. Oktober steht dem absonderlich gewachsenen Wald abermals eine Zäsur bevor. Dann nämlich will die niedersächsische Landesregierung entscheiden, ob Teile dieses „Panoptikums aus Holz und Laub“ in seiner gewachsenen Art und Weise weiterbestehen, oder ob sie künftig forstwirtschaftlich genutzt werden sollen.

Das war schon 1815 einmal so. Damals fiel der „Baumweg“ als „Tertis marcalis“ an die oldenburgische Landesregierung. Sie ließ große Flächen von den seltsam geformten Eichenbäumen entfernen und mit Nadelhölzern aufforsten. Heinrich Heeren (dpa)

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