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Es rappelt in der Kiste

■ Wir packen aus: Die ersten Tage der neuen Belegschaft im Bremer Theater

Im Kreise der Jünger: Hansgünther Heyme beim ersten Gespräch zu seiner Bremer „Helena“Foto: Landsberg

Als sich endlich die Nebel aus Staub gesenkt hatten, sah man überall Jammergestalten durch die verwunschenen Korridore tappen. In den weitläufigen Gebäuden des Bremer Theaters, wo selbst Eingeweihte nach Jahren noch sich verlaufen, waren all die Neuen heillos verloren. „Wo geht's hier zur Kantine?“ riefen ermattete Hungerleider, und: „Entschuldigung, das Betriebsbüro! Wo!“ riefen andere Suchende und winkten mit Lohnsteuerkarten und Versicherungsnachweisen, und schaurig hallten die Wände von dem Rufen. Da mußten die Ureinwohner des Theaters von Herzen lachen, „und dann nahm man die einfach an der Hand und zeigte ihnen alles“, sagt Maritta Schultze-Bürger, Verwaltungssekretärin und seit 17 Jahren im Hause, „das wurde am Ende eine ziemlich fröhliche Geschichte.“ Und es ward Abend, und es ward Morgen: erster Tag.

Mittwoch, 12. August. Die neue Ära von Heyme & Cons. am Bremer Theater beginnt ordnungsgemäß in lauter Staub und Wirrsal. Zirka 35 Neubremer, von der Schauspielerin bis zum Dramaturgen, haben mit knapper Not eine Wohnung gekapert, die er

hierhin bitte

die Gesellschaft

am Tisch

sten Umzugskoffer eröffnet und dem Betriebsbüro die neue Gehaltskontonummer mitgeteilt, da ruft auch schon nach nur zweieinhalb Wochen Urlaub der Chef für morgens um zehn zum Begrüßungsappell, und natürlich ist sogleich das „Chaos komplett“, wie Claudia Schledz, Pressereferentin, berichtet. Selbst alte Häsinnen und Hasen kamen darin um: Wer eben mal auf dem Weg seine Papiere abgeben wollte, fand die Personalabteilung nicht mehr dort vor, wo die Personalabteilung immer schon gehaust hatte; es waren nämlich mehrere Zimmer gewechselt worden. Jetzt sind immerhin Wanderkarten verteilt worden, aus denen die Lage der wichtigsten Büros hervorgeht. Als aber Hansgünther Heyme gleich nach der Begrüßung seine erste Probe abhielt, nämlich der Helena vom großen Euripides, da tat schon wieder ein enormer humanitärer Einsatz not, bis alle überhaupt zur Probebühne gefunden hatten. Ein Brillenetui (perlweiß) gilt noch immer als vermißt.

Die neue Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit versucht unterdessen, „erst mal das Büro betriebsfertig zu kriegen“, sagt Heidemarie Wenke; barmherzige Flur

nachbarn wollen immerhin eine Kaffeemaschine beschaffen, am Montag kommen dann die alten Regale aus Essen, am Montag kommt aber auch schon Terry Hands, der Regisseur, und will mit dem Simone Boccanegra anfangen; auch das Nachtasyl wird schon geprobt, und alle Abteilungen stehen also unter Dampf, obwohl die Telekommunikation in dem Riesenbau noch ziemlich zäh vonstatten geht: Es gibt nämlich noch keine neuen Telefonlisten, fast jeder Anruf muß derzeit über die Hauszentrale und wird von dort aus per Hand weitergestöpselt; und wer einfach mal hören will, wie jemand am andern Ende in den Hörer beißt, soll ruhig die Nummer 3653-1 anrufen.

Aber es ist lustig wie im Zeltlager. Was die Vorgänger besenrein hinterlassen haben, darf jetzt neu besiedelt werden; die Neuen aus Essen haben ganze Flure für sich. In allen Ecken stapeln sich ganz unergründliche Kartons, Schränke füllen sich mit untheatralischen Akten, nur eine vergessene Pinnwand gähnt vor Leere, während sich in ihrer unteren Ecke eine Gruppe pensionierter Reißzwecken herumdrückt. Nebenan sitzt der einzige, den all die Turbulenzen nicht behelligen: Jörg Vorpahl, der neue Chefdisponent, lebt ja in jenem bleichen Zauberreich, wo auf Listen die Stars und Statistenheere der fernen Zukunft bewegt werden, und herrscht dort friedlich vermöge seines Bleistiftes, den er eh immer dabei hat. Falls es aber einmal allzu ruhig zugehen sollte im Theater, liegt in Heymes Chefzimmer schon ein Korb bereit, groß wie ein Mondkrater, mit zwei riesigen Näpfen drin: Hier wird gelegentlich „Bulla“, die englische Bulldogge, wohnen. Und für alle Fälle ist da noch „Cognac“, das Pferd des leidenschaftlichen Reiters Heyme, welches bislang mit einem warmen Plätzchen in Worpswede vorlieb nimmt. Als hätten wir je etwas beispielsweise gegen berittene Theaterboten gehabt. Manfred Dworschak

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