piwik no script img

Yuppies, Models, Klassenhaß

Das Disco-Fieber hat Istanbul erreicht/ Auch in Open-air-Discos wird man nur nach Reservierung und im schicksten Outfit eingelassen  ■ Von Ömer Erzeren

Verflucht seien diese Diskotheken. Diese Produzenten des Lärm-Terrors, die jeden Sommer unser schönes Istanbul mit ihrem Tam-Tam-Geheul überziehen. Selbst den Frieden in unserem ruhigen Stadtteil hat jüngst eine Open-air- Diskothek geraubt. „Andromeda“ heißt das Ding, das einer riesigen Kaserne gleich auf einem Hügel des Bosporus, der Meerenge, die Asien von Europa trennt, errichtet wurde. Anstatt den wundersamen Ausblick auf das Meer, die Meerenge und die geschichtsträchtige Silhouette der Acht-Millionen-Metropole zu genießen, toben sich dort Menschen in ihrem Schweiß aus. Das Discofieber ist in Istanbul entbrannt. Zehntausende Menschen strömen an den Wochenenden in die von den Türken neuentdeckten Vergnügungsstätten. Doch die Open-air- Discos in Istanbul, die unmittelbar an den Hügeln oder unmittelbar am Ufer des Bosporus liegen, sind etwas Besonderes. Dort ist kein Platz für einfache Jugendliche, die angesichts der horrenden Eintrittspreise erst gar nicht den Versuch unternehmen, die heiligen Orte zu betreten. Doch selbst wenn man bereit ist, das Geld abzudrücken, heißt das noch lange nicht, daß man rein darf. In Istanbul gibt es sogar Diskotheken, in denen reserviert werden muß. Dabei handelt es sich nicht um Restaurants mit vorzüglicher Küche, die wenige Tische haben, sondern eben um Open-air- Discos, wo Tausende Platz haben. Darüber informiert, daß ich alleine als Mann keine Chance habe, eingelassen zu werden, bat ich eine Freundin, mich zu einer Diskothek zu begleiten. Etwa zwei Dutzend Bodyguards der Diskothek „Pasha“ musterten uns kritisch, ob sie uns Einlaß gewähren sollten. Dabei hatten wir uns extra sehr chic und modisch gekleidet. „In einfachen Kleidern habt ihr sowieso keine Chance“, hatten uns gut informierte Kreise vorgewarnt.

Tatsächlich: Die Menschen in der Disco hätten ohne weiteres in einer Modeshow auftreten können. Ich staunte nicht schlecht, als ich in der Disco lauter Menschen sah, die ich einer irrealen rosig-schillernden Welt der Reichen zugeordnet hatte und die ich nur von den Fotos der Klatsch-Magazine kenne. Zumeist kamen sie mit Motoryachten, die an der Diskothek anlegten: Millionenerben, Showstars, berühmte Modelle, die „in“ sind und sich für den türkischen „Playboy“ und „Penthouse“ ausziehen. Doch nicht nur sie. Es muß einfach Zehntausende Istanbuler Yuppies geben, wenn allein in dieser Disco vielleicht dreitausend versammelt sind.

Die türkischen Tageszeitungen beschäftigen sogar eine besondere Berufsgruppe, die sich ausschließlich der Disco-Berichterstattung widmet. Welche Berühmheit ist in welcher Disco gesichtet worden? Was ist als Disco- Vergnügen besonders „in“? Zur Zeit ist es „in“, sich nach dem Tanzen im „Andromeda“ gegenseitig ins Schwimmbecken zu werfen. Das Geschäft mit den Discos floriert. Kein Wunder, daß mittlerweile nicht aufgeweckte Kleinunternehmer Marktführer sind. Große Mischkonzerne stiegen inzwischen mit Millioneninvestitionen ins Disco-Geschäft ein.

Das Gedröhne von „Pasha“ reicht bis zu den Slumvierteln an den Hängen des Bosporus. Es gibt sie, die Klassengesellschaft. Erst jüngst wurde das „Pasha“ von einem Skandal erschüttert. Ein Taxifahrer versuchte vor dem „Pasha“ Gäste aufzunehmen. Er wurde von den Bodyguards verprügelt. Denn nur Taxis, die der Leibwache der Disco Schmiergeld zahlen, sind erwünscht. Der Taxifahrer zahlte es ihnen Stunden später mit Schüssen auf den Eingang heim. Einen Tag später wurde die verstümmelte Leiche des Taxifahrers gefunden. Hunderte Taxifahrer stürmten daraufhin die Diskothek, schlugen die Einrichtung kurz und klein und verprügelten die Kundschaft. Nicht allein Rache für den ermordeten Kollegen, sondern auch Haß auf die Reichen wurde offenbar.

Dem Himmel sei Dank, daß wir in Istanbul des Nachts nicht auf Diskotheken angewiesen sind, um auszugehen. Im einst wegen seiner Sex-Schuppen verrufenen Stadtteil Beyoglu sind in den letzten Jahren unzählige Bars eröffnet worden. In vielen gibt es Live-Musik. In einigen kann man tanzen. Und es bleiben uns die Meyhane — die Orte, wo sich seit Jahrhunderten Istanbuler vergnügen. Man geht mit Freunden aus und ißt und trinkt stundenlang an einem Tisch. Ganz gemütvoll sich mit Freunden unterhalten. So schreibt es das Ritual vor.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen