: Kohl sägt an Stolpes Stuhl
■ Brandenburgs Ministerpräsident weiter unter Druck
Potsdam (taz/dpa) — Brandenburgs Ministerpräsident Stolpe (SPD) steht trotz der von ihm vorgelegten neuen Dokumente weiter unter Druck. Bundeskanzler Kohl legte ihm indirekt einen Rücktritt nahe. Kohl erklärte in einem Interview, er halte es für „inakzeptabel“, daß im Fall Stolpe nicht die gleichen Maßstäbe angelegt würden wie in anderen Stasi-Fällen. Es sei auch in weiten Teilen der Öffentlichkeit mit ganz unterschiedlichen Maßstäben gemessen worden. Zudem müsse sich Stolpe auch nach den Auswirkungen seines Verhaltens auf die politische Moral fragen lassen. Der Bündnis- 90-Bundestagsabgeordnete Werner Schulz erklärte, er sehe die Entwicklung der Demokratie in Brandenburg gefährdet, wenn Stolpe weiter im Amt bleibe. Der Ministerpräsident sei wegen seiner langjährigen engen Kontakte zur DDR-Staatssicherheit „enorm belastet“.
Stolpe hatte am Freitag einen Brief vorgelegt, nach dem er bereits im Januar 1962 einen indirekten Auftrag der Kirchenleitungen zu Kontakten mit staatlichen Dienststellen erhalten hat. In dem Schreiben wird Stolpe die Verantwortung für die Einrichtung und Leitung eines Büros übertragen, das dem Vorsitzenden der Konferenz der Kirchenleitungen „die Erledigung gesamtkirchlicher Anliegen in Berlin, insbesondere in Verhandlungen mit staatlichen Dienststellen, vorbereiten und erleichtern soll“.
In einem offenen Brief an den CDU-Bundestagsabgeordneten Rainer Eppelmann verlangte Stolpe am Wochenende, daß dieser „endlich Beweise“ für seine „dauernde Verleumdung vorlegen“ solle. In dem Schreiben wies Stolpe zugleich Eppelmanns Behauptung, er habe die evangelische Kirche dem DDR-Staat unterwerfen wollen, „als große Verleumdung schärfstens zurück“. Eppelmann hatte Stolpe vorgeworfen, zu DDR-Zeiten auf „eigene Rechnung“ Kirchenpolitik betrieben und interne Einschätzungen der DDR- Kirchen an den Staatsapparat im Jahre 1964 weitergegeben zu haben. Dabei hatte der CDU-Abgeordnete auch einen Gesprächsvermerk vorgelegt, demzufolge Stolpe die innerkirchlich höchst umstrittene — von der SED betriebene — eigenständige Organisation der evangelischen Kirche in der DDR gegenüber staatlichen Stellen unterstützt hatte.
Die brandenburgische CDU kritisierte, die von Stolpe vorgelegte kirchliche Vollmacht für Kontakte mit dem früheren DDR-Staatsapparat sei nur eine „erneute Irreführung der Öffentlichkeit“. Es handle sich lediglich um einen „Einstellungsbrief“, der Stolpe zur Einrichtung und Leitung eines Kirchenbüros für Kontakte mit staatlichen Stellen berechtigt habe, erklärte der parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer, Detlef Kirchhoff.
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