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Hitlergruß im Lager

■ Eine Augenzeugin in kroatischen Internierungslagern: Auch hier herrschen Willkür und unerträgliche Zustände

Ljubuski/Bosnien-Herzegowina (AP) — „Wir sind alle hier, weil wir Serben sind.“ Im kroatischen Internierungslager Ljubuski, im äußersten Süden von Bosnien-Herzegowina gelegen, sitzt ein 64jähriger Mann zusammen mit sieben anderen Gefangenen in einer zwei mal sechs Meter großen Zelle. Der Raum stinkt nach Urin. Gleich unter der Decke führt ein kleines vergittertes Fenster in die Freiheit, die den Häftlingen nach ihren Angaben im April — gleich zu Beginn des Bosnienkrieges — genommen wurde. Die Gefangenen geben an, sie seien verschleppt worden, obwohl sie sich an keinerlei Kampfhandlungen beteiligt hätten. Ein 53jähriger sagt, die kroatischen Wärter hätten sie gezwungen, Uniformen der jugoslawischen Volksarmee anzuziehen. In einer anderen Zelle, 1,70 Meter mal 2,50 Meter groß, weint ein 16jähriges Mädchen still vor sich hin. Sie wird zusammen mit ihrer Mutter in Ljubuski gefangen gehalten. Die beiden erinnern sich an ihr Heimatdorf Tasovcici. Dort seien sie am 7.Juni bei einem Feuergefecht von den Kroaten festgenommen worden. 15 Kilometer südöstlich von Ljubuski, wo nach Angaben eines kroatischen Milizionärs von 96 serbischen Gefangenen nur 21 Soldaten gewesen waren, liegt das Internierungslager Capjlina. Dort erheben die Wachen mit den schwarzen Baretten die Rechte zum Hitlergruß. Sie gehören der HOS-Miliz der rechtsextremen Partei des Rechts an.

Dutzende von Frauen sitzen in einem Betongebäude auf dem Boden. Aber die Milizionäre schließen schnell die schweren Eisentore, als sie merken, wie sich die Aufmerksamkeit der Pressebesucher den Frauen zuwendet. Sie bestreiten sogar, daß in dem Lager überhaupt weibliche Gefangen seien.

Die Journalisten werden von einem Uniformierten herumgeführt, der sich als Stabsarzt der kroatischen Armee in Zagreb ausgibt. Er trägt das HOS-Abzeichen, sein Dienstwagen hat ein kroatisches Armeekennzeichen. Das Gebäude, in dem die Frauen sitzen, sei ein Munitionsdepot, erklärt er den Besuchern. Lediglich fünf Frauen in der Lagerküche dürfen sich am Fenster sehen lassen. Die Journalisten werden aber sofort weggedrängt, als eine der Frauen über ihre Verhaftung sprechen will.

Zuvor hatte der bosnische Kroatenführer Mate Boban in einem Interview den Journalisten volle Bewegungsfreiheit zugesichert. Er sagte auch: „Wir haben nur Gefängnisse für Kriegsgefangene, für Soldaten.“

Rund 100 gefangene Männer müssen vor den Journalisten strammstehen. Major Miro Hrstic wählt zwei aus, die vortreten und Fragen beantworten sollen. Die erste Frage stellt der Major selbst. Beide antworten, es gebe keine Beschwerden. Der ältere sagt allerdings, er sei Offizier der jugoslawischen Volksarmee im Ruhestand und sei aus seiner Wohnung in Capljina heraus verhaftet worden.

Dann wird dem Major die Frage gestellt, wieviele Frauen in dem Lager sind. Seine Antwort lautet: „Man muß nicht alles wissen. Journalisten sind wie Soldaten: Je weniger sie wissen, desto länger leben sie.“ Maud Beelman

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