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Wechsel vom Rollstuhl auf den Esel

Den amerikanischen Public Broadcasting Networks laufen die Stars davon  ■ Aus Walnut Creek H.-H. Kotte

John Hockenberry, Moderator beim National Public Radio, dem öffentlichen Hörfunk der USA, gilt als Held der journalistischen Arbeit und ist mit vielen Preisen ausgezeichnet. Aus dem Mittleren Osten und vom Golfkrieg berichtete er aus dem Rollstuhl und tauschte diesen für eine Reportage aus dem Kurdengebiet auch schon mal gegen einen Esel ein. Seine Radio-News-Show „Talk of the Nation“ treibt selbst den abgebrühtesten Mainstream-Journalisten des kommerziellen Rundfunks die Tränen in die Augen — aus Ehrfurcht vor so viel Professionalität und Geist. Für viele der objektivitätsgetrimmten US-Journalisten sind die News-Shows von Hockenberry, dem aufrechten Mann mit Meinung, ein erholsames Muß.

Doch nun hat Hockenberry die Seite gewechselt. Er wird in Zukunft für das Network ABC ein neues, noch namenloses TV-Nachrichtenmagazin machen, das der CBS-Sendung „60 Minutes“ Paroli bieten soll. Am vergangenen Donnerstag hatte er seine vorerst letzte Sendung bei NPR. Statt eines Gehalts von etwa 80.000 Dollar wird Hockenberry nach Einschätzung von US- Medienjournalisten nun mindestens dreimal so viele Dollars erhalten. Er gibt — so seine KollegInnen — neben der besseren Bezahlung aber auch andere Gründe für den Wechsel an. Wichtiger als die Herausforderung durch eine neue Arbeit in einem anderen Medium sei ihm die bei ABC vorhandene stärkere Unterstützung durch News-Teams und Producer. „Ich mache nicht noch mal den ganzen Golfkrieg allein. Irgendwann sind meine körperlichen Kräfte auch mal am Ende“, sagte der 36jährige gegenüber der Los Angeles Times.

Hockenberry ist nicht der einzige Radio-Journalist, den die kommerziellen Networks in den vergangenen Monaten abgeworben haben. Scott Simon, Moderator der NPR-Sendung „Weekend-Edition“, hat ebenfalls angekündigt, zu NBC und dessen neuer Wochenend-Version von „Today“ zu wechseln. Auch die Journalistin Cokie Roberts und ihr Kollege Robert Krulvich sind als Abgänge zu verzeichnen. Roberts wechselte zu ABC, Krulvich zu CBS. Auch eine stattliche Anzahl von Producern des öffentlichen Rundfunks wurde abgeworben. Den Leuten der drei großen TV-Ketten imponierte besonders, daß NPR immer wieder intelligente Talente findet, die dann sprachlich gut ausgebildet werden und wegen der kleinen Budgets „alles ganz allein können müssen“.

Der öffentliche Rundfunk in den USA wird von der Regierung und durch freiwillige Gebühren finanziert. Üblicherweise gibt es in jedem Jahr heftige politische Kämpfe um Budgetkürzungen — den Republikanern sind das öffentliche Radio und das öffentliche Fernsehen (PBS) zu „liberal“, das heißt zu linkslastig. In diesem Jahr konnte ein harter Schnitt vermieden werden, weil sich der öffentliche Rundfunk bereit erklärte, angebliche „obszöne“ und nur für Erwachsene bestimmte Sendungen erst nach Mitternacht auszustrahlen.

NPR sieht sich nicht gern in der Rolle der Journalistenschule für die Networks. Bill Buzenberg, Vizechef bei NPR für Nachrichten und Information: „Wir sind der Meinung, daß wir ein sehr guter Laden sind und daß die meisten, die hier arbeiten, nur dies und nichts anderes wollen.“ Mehr als den Leuten, die Angebote hätten, gut zuzureden, bliebe ihm nicht. Auch Mary Morgan, Direktorin für Öffentlichkeitsarbeit bei NPR, gibt zu, daß das öffentliche Radio wegen seiner beschränkten finanziellen Möglichkeiten nur wenig gegen solche Wechsel unternehmen könne. „Das ist doch nur logisch, daß man die Möglichkeit eines Karrieresprungs irgendwann doch mal nutzt.“ Der aktuelle Fischzug der Networks dürfte vor allen Dingen auf programmliche Veränderungen bei NPR und den Networks zurückzuführen sein. Auch der starke Konkurrenzdruck der Kabelfernsehgesellschaften spielt laut Morgan eine Rolle.

Statt auf Features und aufgekochte Analysen zu setzen, versucht NPR seit längerer Zeit auf dem Feld der Nachrichten stets ganz aktuell zu sein. Mit dieser Professionalisierung hat NPR seine Einschaltquoten stetig verbessert und ist inzwischen über 450 Radiostationen zu empfangen — vor zwanzig Jahren waren es nur 90 gewesen.

Die TV-Networks hingegen müssen etwas für ihre Einschaltquoten tun, seit die Kabelstationen ihnen mit Spielfilmen und Special-Interest- Sendungen die Butter vom Brot nehmen. Dazu gehören bessere (und auch mal abseitigere und hintergründigere) Nachrichten ebenso wie ModeratorInnen-Typen, die sich vom frischgeföhnten „Barbie“- und „Ken“-Einheitsbrei unterscheiden. Kein Wunder, daß die ABC-Leute schon darüber nachdenken, wie sie den Rollstuhl von Hockenberry (dessen Beine seit seinem 19. Lebensjahr gelähmt sind) sichtbar in die neue News-Show integrieren können.

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