: „Provokation“ des Irak blieb aus
■ Voraussage der „New York Times“ über eine in Bushs Wahlkampfstrategie vorgesehene Eskalation des Konfliktes mit Bagdad hat sich nicht bewahrheitet/ UN-Inspektion plangemäß abgeschlossen
Genf (taz) — Eine Ankündigung in der schlagzeilenträchtigen Geschichte der New York Times vom Sonntag hat sich bereits als falsch erwiesen. Zur angeblich geplanten „Provokation“ Bagdads an „diesem Montag“, die als Vorstufe für einen militärischen Schlag gegen den Irak dienen sollte, ist es nicht gekommen. Das UNO-Inspektorenteam unter dem russischen Leiter Nikita Smidowitsch, das den Irak heute wie geplant verläßt, hat die Inspektion des „Ministeriums für militärische Industrialisierung“ nicht verlangt. Wer Smidowitsch kennt — einer der intelligentesten Rüstungskontrolldiplomaten der Ex-UdSSR und lange Jahre das „Gehirn“ ihrer Delegation bei der Genfer UNO-Abrüstungskonferenz —, wußte, daß er sich in George Bushs Wahlkampfkalkül wohl kaum würde einspannen lassen. Nach seinen Angaben wurde die soeben beendete Inspektion im Irak nicht behindert. Sein Team kehrt heute nach Bahrain zurück.
Das Interesse Washingtons an völliger Transparenz der UN-Inspektionen in Bagdad ist ohnehin gar nicht so uneingeschränkt, wie es zunächst den Anschein hat. Schon frühere UNO-Teams förderten durch ihre Recherchen vor Ort Beweise für US-Lieferungen an die irakische Rüstungsindustrie zutage. Weitere Enthüllungen dieser Art wären für George Bush in der jetzt beginnenden Schlußphase des US-Wahlkampfes außerordentlich peinlich.
Doch einem politischen Zweck dient die Times-Geschichte sehr wohl, die durch eine gezielte Indiskretion von Bushs Wahlhelfern in der Administration gegenüber Patrick E. Tyler (der nicht als einer der seriösesten Times-Journalisten gilt) verbreitet und am Vorabend des republikanischen Parteikonvents veröffentlicht wurde. Sie soll Bush handlungsfähig und -willig erscheinen lassen. Die Dementis von Bush und US-Verteidigungsminister Cheney gehören zum abgekarteten Spiel. Das Eisen soll weiterhin im Feuer gehalten, die — noch widerstrebende — eigene Bevölkerung auf die Möglichkeit eines militärischen Schlages gegen den Irak eingestimmt werden. Dafür ist es mit Blick auf den Wahltag am 3. November allerdings noch viel zu früh. Als ideales Timing für eine Intervention gilt innerhalb der US-Administration vielmehr die Zeit Ende September/Anfang Oktober. Ein Schlag in dieser Woche — wie von der Times nahegelegt — hätte mit Sicherheit auch die am kommenden Montag beginnende neue Runde in den bilateralen israelisch-arabischen Nahost-Verhandlungen platzen lassen. Und das ist die einzige außenpolitische Leistung, mit der sich das Team Baker/Bush noch einigermaßen sehen lassen kann.
Ähnlich wie vor dem letzten Golfkrieg wird die Bush-Administration vor einem erneuten Militäreinsatz wohl versuchen, eine möglichst breite internationale Allianz zu schmieden, die dann den Anspruch hätte, im Namen der UNO und zwecks Durchsetzung der Waffenstillstandsresolution des Sicherheitsrates vom März 91 zu handeln. Die arabischen Reaktionen auf die Veröffentlichung in der New York Times haben gezeigt, daß sich aus der Nahost-Region lediglich Kuwait und Saudi-Arabien daran beteiligen würden. Andreas Zumach
Kommentar Seite 10
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen