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Große Staatsaktion

■ Über das unvermutet auftauchende Rechtsempfinden

Kreuzberg, Koch-/ Ecke Charlottenstraße, 9.40 Uhr: Ein abgestelltes Fahrrad — eine jäh aufkommende Windbö ist schuld — fällt um, der Kindersitz aus Plastik rutscht den Kotflügel eines hochglanzgewienerten schwarzen BMW entlang. Schaden: ein nur nach erheblichem Suchen sichtbarer Kratzer.

9.45 Uhr: Der Besitzer des Fahrrades, Typ besorgter Jungvater, nähert sich dem gefallenen Rad, untersucht akribisch den BMW und heftet in einem für sein jugendliches Alter bemerkenswerten Akt von Gesetzestreue einen Zettel unter dessen Windschutzscheibe. Radfahrer tritt ab.

9.50 Uhr: Radfahrer kehrt zurück und wartet. Schlechtes Gewissen, Prozeß wegen Fahrerflucht, Knast — sein Gesicht sagt alles.

9.55 Uhr: Ein Polizei-Bulli trifft ein; alarmiert vom Radfahrer.

10 Uhr: Die zwei Beamten nehmen ihre Arbeit auf. Sorgfältig werden die Papiere des Radlers geprüft und abgeschrieben. Dann wird der Unfallhergang erörtert, der schwer beschädigte BMW kriminaltechnisch unter die Lupe genommen.

10.05 Uhr: Der zweite Beamte holt weitere Unterlagen und Hilfsmittel aus dem Dienstfahrzeug. Das Kennzeichen des Unfallfahrzeugs wird aufgeschrieben. Eine Handskizze des Bürgersteigs unter besonderer Berücksichtigung der vorderen Partie des geschädigten Fahrzeugs wird verfertigt. Sein Kollege vernimmt weiter den vorbehaltlos geständigen Radfahrer.

10.16 Uhr: Ein Polizist holt das ausrollbare Bandmaß aus dem Polizei-Bulli und macht sich akribisch an die genaue Vermessung des Tatortes.

10.27 Uhr: Die Beamten klappen ihre Ermittlungskladde zu. Abgang vom Tatort. Auch der Täter steigt auf sein Rad; sichtlich erleichtert. gn

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