: Von einer bedrohten Sendeart
Die Südsender wollen das Bildungsprogramm „Funkkolleg“ abwürgen ■ Von Henrich von Nussbaum
Am 8.September entscheidet die Planungskommission, traditionsgemäß im zentral gelegenen Gründungssender HR, unter dem Vorsitz seines Hörfunkprogrammdirektors, ob das beispielhafte Weiterbildungsprojekt „Funkkolleg“ über 1994 weitergeführt werden kann. Obwohl schon viele vor der „Verflachung des Programms“ warnten, ist bisher ungewiß, ob sich irgendjemand ernstlich für das „Bürgerrecht auf Bildung“ ins Zeug legen wird.
Der Trend hält an: Kulturdarbietungen wie -berichterstattung wurden rigoros aus dem öffentlich-rechtlichen Hauptprogramm gedrückt, fast völlig in die Nebensender auf Satellit abgedrängt. Bei Naturprogrammen steht's nicht anders. Jetzt legen die unermüdlichen Optimierer die Axt an weitere Grundpfeiler der öffentlichen Massenkommunikation: das „Funkkolleg“. Das seit 25 Jahren existierende Projekt des ARD-Funks, 1986 vom HR anfangs zur Lehrerfortbildung begründet, wurde als Allgemeinbildung weitergeführt. Pro Jahr bot man zwei systematisch aufgebaute Kurse à 30 Sendestunden, für die begleitend jeweils gedrucktes Lernmaterial vorgelegt wurde. Mit dessen Hilfe konnten dann in zusätzlicher Prüfung Fortbildungszertifikate erworben werden.
In Beruf und Öffentlichkeit fanden sie zunehmend Anerkennung. Zum 25.Jubiläum, nach dem 31.Funkkolleg („Humanökologie/WDR) mit 19.000 Teilnehmern (nach „Moderne Kunst“ mit 40.000), hatte eine DINA4-Broschüre entsprechend die Glückwünsche der Heroen der deutschen Wissenschaft und Bildungspolitik zusammengestellt, von Autoren aus Wirtschafts- und Sozial-, Natur-, Kunst- und Humanwissenschaft. Die Liste liest sich wie ein Auszug aus Kirschners Deutschem Gelehrtenkalender.
SDR und SFB, verantwortlich für die nächsten beiden Funkkollegs, „Anthropologie“ und „Literatur modern“ (ab Oktober '93), wollen ab 1994 plötzlich aussteigen; daraufhin auch der NDR. Damit fehlen den verbleibenden vier — HR, WDR, SR und RB — fast 60 Prozent des Etats (derzeit 533.000 DM Direktkosten). Begründet wird das geplante Abwürgen, wen wundert's noch, mit dem angeblich rückläufigen Hörerinteresse. Eine Schutzbehauptung: der Zuspruch schwankte schon immer je nach Thema zwischen 18.000 und 40.000 Kursteilnehmern. Summe aller Jahre: 600.000 Teilnehmer. Nicht zu verwechseln mit der Hörerzahl: Die liegt bei 150.000 bis 200.000. Zum Vergleich: Das Gesamtangebot aller hessischen Volkshochschulen nutzen etwa eine halbe Million Menschen.
Im Funkkolleg geht es nicht bloß um Spezialwissen, sondern um gesamtgesellschaftliche Vernetzungen des Fachwissens, um interdisziplinäre Integration und Rekonstruktion. Oft wirkte es sogar in die Einzelwissenschaft zurück.
Abwehr durch Angleichen: Statt Bildung sei „Erlebnisorientierung“ angesagt, heißt es im Süden, wo die Kultur in S2 gerade „durchhörbar“ gemacht wurde, wie Hörfunkdirektor Lüke (SDR) und SWF-Kulturchef Haedecke sich in die Brust werfen. Beide erinnert man noch anders. Das Funkkolleg sei „hörerunfreundlich“, weil „wenig radiophon“. Ein „sperriger Riegel“ im Programmfluß.
Wenn nicht gar hinterfotzig, ist diese Behauptung bestenfalls halbrichtig. Niemals standen Mittel zur Verfügung, solche Mängel abzustellen, gerade die Opponenten mühten sich nicht. Wenn Fachinformation „Infotainment“ werden soll, muß Bildung denselben Aufwand treiben dürfen wie Unterhaltung. Dann bekommt auch sie Pfiff,Biß und Witz.
Doch die Mühe machte sich bisher niemand, die Südsender schon gar nicht. Fortsetzen, was andere irgendwann angefangen haben, ist einfacher als selbstgemachte Innovation. Ein willkommener Vorwand also, Anstrengung zu vermeiden; mangelnden Einsatz zu verschleiern. „Channel-Identity“ — bei genauerem Hinsehen meint das „Einheitsradio“. Einfalt statt Vielfalt, abwürgen statt aufbauen.
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