: Kein Modell für Krisen-Branchen
■ Die DAG-Verzichtsofferte gegenüber der Lufthansa bringt die ÖTV in Zugzwang
Kein Modell für Krisen-Branchen Die DAG-Verzichtsofferte gegenüber der Lufthansa bringt die ÖTV in Zugzwang
Jeder kann sich das Fliegen leisten, nur die Lufthansa bald nicht mehr. Die einst stolze Staatslinie ist mächtig ins Trudeln geraten; allein bis zum Jahresende werden sich die Verluste aus dem reinen Fluggeschäft auf eine Milliarde Mark aufsummiert haben. Daß damit dem Kranich eine neue, schmerzhafte Sanierungsrunde ins Haus steht, dürfte unter allen Beteiligten unumstritten sein. Daß aber in der größten Not ausgerechnet eine Gewerkschaft den Verzicht propagiert, davon wagen die Mangager in anderen krisengeschüttelten Branchen nicht einmal zu träumen. Das Angebot der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG), in einem Umfang von insgesamt 500 Millionen Mark auf Geld und Freizeit zu verzichten, ist ebenso spektakulär wie einmalig. So wird die Offerte nicht nur die in einer Woche beginnenden Tarifverhandlungen bei der Lufthansa kräftig durcheinanderwirbeln, sondern auch in anderen Wirtschaftsbereichen den Gewerkschaften von den Arbeitgebern immer wieder aufs Brot geschmiert werden.
Die mächtige ÖTV, der bei der Airline ein Großteil des finanziell schlechter gestellten Flugbegleitungs- und Bodenpersonals angehört, hat den Vorstoß denn auch gleich als voreilig zurückgewiesen. Wohl zu Recht fürchtet die Gewerkschaftsspitze um Monika Wulf-Mathies, dadurch könnte die altbewährte Tarifmechanik ins Kippen kommen. Tarif ist schließlich Tarif, warum sollte sie da Abstriche zulassen? Und für die finanziellen Turbulenzen, in die der Mega-Carrier geraten ist und für die es neben gravierenden Management-Fehlern vielerlei Gründe gibt, können die Gewerkschaften am wenigsten. Doch die von der ÖTV-Spitze signalisierte Bereitschaft, grundsätzlich mit sich über flexible Arbeitszeiten und wettbewerbsfähige Arbeitsbedingungen reden zu lassen, zeigt, wie stark die Gewerkschaft durch die Vorschläge der Konkurrenz unter Druck kommt.
Doch selbst wenn sich die Probleme und Tarifbedingungen der Staatslinie nur beschränkt auf andere Branchen übertragen lassen, macht der symbolische Verzichts-Vorstoß der DAG klar, wie sehr sich die Zeiten geändert haben: In den meisten Wirtschaftsbereichen setzen nicht mehr die möglichen Zuwachsraten, sondern die Ausmaße der Schrumpfungsprozesse die Rahmenbedingungen für die Tarifpolitik. Ob Autohersteller oder Computerindustrie, ob Werften, Bergbau oder die Ost- Unternehmen — die Gewerkschaften müssen sich bei den zunehmend in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Firmen auf einen massiven Stellenabbau einrichten. Allerdings: Opfer, Verzicht oder Abstriche hin und her — eine generelle Öffnungklausel für Tarife, wie von eisernen Marktwirtschaftlern vielfach gefordert, dürfen die Gewerkschaften nicht zulassen. Erwin Single
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