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Erstes Geständnis im coop-Prozeß

Frankfurt/Main (dpa/AP) — Das Schweigen im Prozeß um die milliardenschweren Betrügereien an der Spitze des ehemaligen Einzelhandelskonzerns coop ist gebrochen: Völlig überraschend hat gestern in Frankfurt der einstige Sekretär von Ex-Vorstandschef Bernd Otto ein umfassendes Geständnis abgelegt und wesentliche Punkte der Anklage bestätigt. Hans Gitter, der frühere Leiter des Vorstandssekretariats in der coop-Zentrale, erklärte, es habe schwarze Kassen gegeben, aus denen der Handelsriese Veranstaltungen von Gewerkschaften und Zahlungen an Aufsichtsratsmitglieder leistete. Über diese Kassen seien den Gewerkschaften Mittel „zwischen hundert Mark und sechsstelligen Beträgen“ zugeflossen. Die Unterlagen darüber wurden auf Weisung von Ex-Vorstandsmitglied Werner Casper vernichtet, erläuterte der Angeklagte.

Casper hatte sich nach der Aufdeckung des coop-Skandals 1989 nach Kanada abgesetzt. Gegen ihn läuft ein Auslieferungsverfahren.

Aus der schwarzen Kasse finanzierte das Spitzenmanagement laut Gitter auch Auslandsbeteiligungen, die anschließend in Stiftungen versteckt wurden. In diese Transaktionen waren nach seiner Aussage die mitangeklagten Vorstandsmitglieder Bernd Otto und Dieter Hoffmann sowie der ebenfalls beschuldigte Aufsichtsratschef Alfons Lappas eingeweiht.

Auf Konten der vom Vorstand eingerichteten Stiftung „Goch“ (Abkürzung für Gitter, Otto, Casper, Hoffmann) flossen zudem Gelder aus Firmenverkäufen. Er selbst sei „überrascht gewesen“, als Goch in vier neue Stiftungen aufgeteilt wurde. Begünstigte waren Otto, Casper, Hoffmann und er selbst. Insgesamt 800.000 Mark, ein Viertel des Stiftungskapitals, erhielt Gitter 1989 persönlich ausbezahlt.

Darüber hinaus räumte er ein, Scheinrechnungen zugunsten des ehemaligen coop-Vorstandes, des einstigen Vorstandsvorsitzenden der Gewerkschaftsholding BGAG, Alfons Lappas, und des damaligen Chefs der Gewerkschaft Nahrung- Genuß-Gaststätten (NGG), Günter Döding, ausgestellt zu haben. Mit Wissen des coop-Aufsichtsratsvorsitzenden Lappas und seines Stellvertreters Döding habe der Vorstand mittels einer weiteren Stiftung den Kauf eigener Aktien organisiert.

Eigentümer der coop AG (Frankfurt) waren nach Auskunft von Gitter in den 80er Jahren die BGAG und ihre Tochtergesellschaften GfH und Skan. Beide Firmen wurden 1984 von coop übernommen. Damit bestätigte er die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft, daß sowohl die Eigentümer wie die Vorstände von der desolaten Finanzlage des Konzerns wußten. Die Anklagebehörde wirft Otto und den anderen sechs Angeklagten vor, die abhängigen Unternehmen samt ihrer Verluste nicht in die Konzernbilanz aufgenommen und so die Bilanzen manipuliert und einen großangelegten Kreditbetrug ermöglicht zu haben.

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