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Wider die Einweg-Geschichte

Der erste Roman des Kanadiers Douglas Coupland: „GenerationX“  ■ Von Anke Westphal

Bei Sonnenuntergang sitzen Andrew, Dag und Claire vor ihren Bungalows am Rande der kalifornischen Wüste und erzählen sich Geschichten. Geschichten von Supermärkten, zigarettenascheverseuchten Blumentöpfen, kindlichen Doktorspielen und einem Kaff namens Texlahoma. In Texlahoma ist es für immer und ewig 1974, das Jahr nach der Ölkrise, und die Atmosphäre dort ist noch von Sauerstoff, Weizenspreu und Langwellenradioübertragungen gesättigt. Texlahoma steht in einer immer schneller werdenden Zeit wie eingefroren als Konstante geruhsamen Lebens, existiert aber nur in einer von Claires Geschichten.

Andrew, Dag und Claire haben ihre früheren Existenzen verlassen und exekutieren in der eindeutigen Leere und Reinheit der Wüste die hohlgewordene Bilderflut einer Welt, die im Rausch des Funktionierens und Konsumierens ersäuft. Die drei scheinen sich gerade noch gerettet zu haben, indem sie via Erfindung und Erinnerung ihr mögliches Verschwinden im wirren, eiligen Sog des Alltags verhindern, vielleicht aber auch nur aufhalten. Das Maß der Wahrheit über sich selbst versuchen sie, vorläufig, in ihren Guten- Tag-und-Gute-Nacht-Geschichten zu finden, die so bizarr sind wie ihre Erfahrungen in der Popkult-Gesellschaft.

Ein hochschwieriges und dazu altertümliches Unterfangen ist es, „den Buchstaben in sich zu lesen“, wenn das Verhältnis von Zeichen und Zeichenträgern sich ins Kryptische verschiebt, aus simplen Küchen plötzlich Lebensmittelmessen werden, Badezimmer zu Wasserspielen und Wohnzimmer zu Vergnügungsparks mutieren. Denn das geschieht im Media-Alltag der neunziger Jahre. Über klammheimliche Bedeutungskorrekturen bis hin zu Umbenennungen verändern sich für Andrew, Dag und Claire die Maßstäbe der Werte, bis letztendlich auch das Schreckliche auf Supermarktformat verkleinert ist. Welcome in der vokabelgewordenen Indifferenz der schönen neuen Welt?

Noch nicht. Douglas Coupland jedenfalls als tatsächlich glaubwürdiger Robin Hood des Wahren, Guten, Witzigen und dennoch Ernsthaften versieht die Stories am Seitenrande mit Comics in Lichtenstein-Manier, einem Glossar und kämpferisch-aufrüttelnden Parolen wie „Less is a Possibility“ oder „Eroticize Intelligence“. Keine so neue, aber immer noch eine hübsche Methode, um das soziale Gefüge verbal, grafisch und auch noch rein typografisch auf den Punkt zu bringen. Die Kodifizierungen der Gesellschaft werden mit den Begriffen dieses Glossars nicht etwa reduziert, sondern zur Lachkrampf auslösenden Erkenntnispille zusammengepreßt.

Andrew, Dag und Claire ziehen sich mit — je nach Betrachterstandort abschreckendem oder beispielhaftem — Mangel an konsumtiver Lebensgier auf das Wesentliche zurück. Das Wesentliche für sie ist eben das Geschichtenerzählen, einfach weil sie böse darüber sind, daß die Welt so unzusammenhängend geworden ist, „daß wir nicht mehr in der Lage sind, Geschichten über sie zu erzählen, und daß alles, was uns noch übrigbleibt, Blinkzeichen, Protzkisten und Aufklebeschnipsel auf Stoßstangen sind“. Schlimm. Dag also verkündet: „In jedem Fall fühle ich mich betroffen“ und nimmt einen Schluck aus der Flasche. Das Ghetto der Simulationsmodelle, in dem das Leben der Familien und Bekannten des Trios abläuft, wird mit fröhlicher, sogenannter Asozialität verlassen. Mit dreißig gestorben, mit siebzig begraben — nein, vielen Dank. Andrew, Dag und Claire attackieren die Semiokratie, ohne jedoch im eigentlichen Sinne verkrachte Existenzen zu sein. Ihr Abhauen aus der Reizhölle des normalen Wahnsinns, ihr Verweigern einer Karriere ist für ihre Umgebung etwas um so Schlimmeres.

Wie aber leben, warum arbeiten? Fragen über Fragen, dabei war die Palette an Lifestyle-Leitsystemen für die GenerationX auf der Suche nach der zeitgemäßen Kombination von Lebensplan, Gesinnung und Outfit doch nie so groß wie heute. Vielleicht eine feministische Molkerei in unverstrahlter Natur eröffnen, wie Andrews Schwester. Oder zum Beispiel Ethnomagnetism: „Dort, wo ich jetzt lebe, umarmt man sich!“, schreibt man den Eltern nicht ohne Anflug von Auserwähltheit.

Anything goes: Political Correctitude (kennt man) und Boomer Envy (wird selten zugegeben). Angegrauter Pferdeschwanz über dem Armani-Jackett oder Mary-Quant-Ohrringe plus Caprihosen im Retrolook. Die GenerationX — das sind die post-baby-boomer und die post-punker, deren geistige Sozialisation bei vermeintlichem Verschwinden von Zeit-Geschichte und frustrierender Abwesenheit von „großen, gegenwärtigen Aufgaben“ sich in den Versatzstücken der Historie zu vollziehen scheint.

Kann das der Was-fange-ich-mit- meinem-Leben-an-Depression Einhalt gebieten? Aber Coupland setzt nicht Normalos gegen Aussteiger, nicht Alltags- gegen Hochkultur; das wäre auch zu platt. Der medienscheue Autor — man hat vermutet und überschlagen, daß er selbst um die dreißig Jahre alt ist — persifliert Lebensläufe und verhökert Lebensstile zum Katalogpreis. Den von Andrew, Dag und Claire eingeschlossen. GenerationX ist überall, im Loft wie im Holzhaus. Die Black Holes (Schwarzgekleideten) dieser Erde haben sich längst outfitmäßig vereinigt, während die Scheherazade- Nachfolger in der Hölle-unter-Palmen noch nach zerbrechlichen kleinen Einsichten suchen. Sie meinen, das Versprechen, das in der Zukunft lag, sei irgendwie nicht eingelöst worden. Jedenfalls nicht auf die Art, die das Foto einer offenbar glücklichen Familie aus den fünfziger Jahren suggerierte. Die erwartungsvollen Kinder von damals sind eindeutig erwachsen. Vorbei? Gott sei Dank?

Die GenerationX muß immerhin nicht mehr an die Zukunft der Glückwunschkartenindustrie glauben, nicht an gemütliche Familienweihnachten, wie es noch ihre Eltern taten. Der Mittelstand verschwindet, die Objekte gewinnen die Oberhand, und jegliche Zeit wird auf ihre effektive Nutzung hin ausgeschlachtet. Aber Andrew, Dag und Claire recyclen das Gestern und Heute in ihren Stories, ein breit angelegter Versuch, Geschichte und Gegenwart zu entgiften und neu zu strukturieren.

Die Welt ist ihnen zu groß, dennoch kommt es ihnen nicht gesund vor, „das Leben als eine Abfolge isolierter, kleiner, cooler Momente zu leben“. Schließlich hauen sie wieder ab, um in San Felipe ein Hotel aufzumachen. Das ist zwar die „Mondlandschaftsseite“ des Zauns, der die Gesellschaft teilt, aber alles Produktive ist ja nomadisch, wie Foucault schrieb.

Coupland, der Japanisch und Bildhauerei und anderes mehr studierte, mutet einem am Ende die Vision eines weißen Reihers auf schwarzverbranntem Feld und eine Statistik zu, sozusagen die bild- und zahlengewordenen Komprimationen des Buchinhalts. Seid Bestandteil oder seid kein Bestandteil? Seid GenerationX. Seid, was immer ihr wollt? Beliebig ist Coupland keineswegs. Gesellschaftsanalyse und Galgenhumor mit unverkennbarem Beigeschmack von Optimismus sind in Couplands Erstling nahezu Synonyme, und daß diese schöne, seltene Einheit erhalten blieb, ist ohne Zweifel dem Übersetzer Harald Riemann zu danken.

Douglas Coupland: „GenerationX“. Aus dem Amerikanischen von Harald Riemann, Verlag am Galgenberg, 224Seiten, 36DM.

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