PORTRAIT: Pascal Lissouba, ein Genetiker als Präsident
■ Der erste freigewählte Staatschef Kongos steht vor großen Herausforderungen
Berlin (taz) — Als Pascal Lissouba 1931 geboren wurde, erlebte die französische Kolonie Kongo gerade die „Zeit der Eisenbahnen“. Der Bau der Bahnlinie vom Atlantikhafen Pointe-Noire quer durch den Dschungel in die Kolonialhauptstadt Brazzaville, 300 Kilometer landeinwärts, hatte Jahrzehnte gedauert, das Leben Tausender gekostet und dem tropischen Land ein aufsässiges Industrieproletariat beschert. Die mörderische Zwangsarbeit, das Auseinanderreißen der Dschungeldörfer und das schnelle Wachstum der Städte, das Ungetüm namens Dampfeisenbahn und die großen Streiks der Bahn- und Frachtarbeiter bilden noch heute das gemeinsame Nationalepos der kongolesischen Literatur.
Als Pascal Lissouba 1963 Premierminister wurde, begann in der seit drei Jahren unabhängigen Republik Kongo gerade die „Zeit des Öls“. Das an der Küste reichlich vorhandene schwarze Gold sollte den von Militärs, Gewerkschaftlern und Intellektuellen geführten Regierungen Reichtum bringen, der dann in Sozialprogrammen und Einschulungskampagnen unters Volk gestreut werden könnte. Leider kontrollierten französische Firmen die Ölausbeutung, und die ließen sich weder auf die Finger noch gar in die Bankkonten gukken. Die sozialistischen Miitärregierungen konnten ihre Versprechen von Vollbeschäftigung und Bildung für alle nicht einhalten. Ständige politische Instabilität in der „Volksrepublik“ war die Folge. Bereits 1966 legte Lissouba sein Amt nieder. In der Folgezeit kritisierte er die den kongolesischen Verhältnissen unangepaßte marxistisch- leninistische Ideologie der Militärherrscher und forderte früh eine Demokratisierung. Dafür mußte er zeitweise mit Gefängnisaufenthalt büßen. Doch der diplomierte Agronom und Genetiker kümmerte sich nicht nur um Politik. Er erhielt einen Ehrendoktor von der Universität Straßburg und vertiefte sich in neugezüchtete Mangofrüchte; die saftigen „Lissouba-Mangos“ begeisterten auch die Kongolesen. Er machte Karriere in der UNESCO und leitete jahrelang deren Regionalbüro in Nairobi.
Als Pascal Lissouba am vergangenen Sonntag zum neuen Staatspräsidenten gewählt wurde, erlebte die nicht mehr sozialistische Republik Kongo gerade eine recht chaotische „Zeit der Demokratie“. Seit 1990 hatten Massenstreiks, eine Nationalkonferenz und eine zivile Übergangsregierung die Macht der herrschenden Militärs immer weiter zurückgedrängt. Die „Kongolesische Arbeiterpartei“ (PCT) war nicht mehr Staatspartei, sondern nur noch eine unter vielen politischen Kräften — darunter die „Panafrikanische Union für Soziale Demokratie“ (UPADS), im Januar 1991 von Lissouba gegründet, die aber wegen der vielen alten Kader unter ihren Mitgliedern von radikaleren Kritikern als genetische Mutation der alten Einheitspartei verschrien wird. Die UPADS gewann dieses Jahr die Kommunal- und Parlamentswahlen, und im ersten Präsidentschaftswahlgang am 2. August lag Lissouba mit 36 Prozent vorn. Der zweite Wahlgang letzten Sonntag sollte ihm nach ersten Ergebnissen 58 Prozent bringen. Der bisherige Präsident und frühere Militärdiktator Sassou Nguesso war bereits im ersten Wahlgang mit 17 Prozent ausgeschieden und hatte seine Niederlage sofort akzeptiert.
Aber Demokratie kann man nicht essen. Wenn Pascal Lissouba als erster freigewählter Präsident Kongos politisch überleben will, muß er dem Land eine wirtschaftliche Gesundung bringen. Fast die Hälfte der Bevölkerung ist unter 15 Jahre alt und hat kaum Aussichten auf Arbeit. Kongo hat die höchste Pro-Kopf-Auslandsverschuldung der Welt. Die internationalen Geldgeber verlangen als ersten Sanierungsschritt die Halbierung des Staatsdienstes — das bedeutet die Entlassung von 40.000 Beamten, viel für ein Land mit nur 2,3 Millionen Einwohnern. Die Zeiten, wo Eisenbahn und Öl als Hoffnungsträger galten, sind vorbei — ein Ersatz ist noch nicht in Sicht. Dominic Johnson
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