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Sterben in Baidoa

■ Täglich kommen mehr Menschen in die somalische Kleinstadt, die seit kurzem Hilfslieferungen erhält

Baidoa (AP) — In einem somalischen Dorf sitzt eine Frau mit vier kleinen Kindern vor einem Topf mit kochender Kamelhaut. Sie träumt davon, in die 20 Kilometer entfernte Provinzstadt Baidoa zu gelangen, wo seit einer Woche das Rote Kreuz und die UNO Lebensmittel verteilen. Doch die Familie würde die Reise nicht überleben.

In Baidoa, 250 Kilometer nordwestlich der somalischen Hauptstadt Mogadischu gelegen, sehen 60.000 Einwohner einem qualvollen Tod ins Auge — ebenso viele wie vor ein paar Monaten, aber nicht mehr dieselben. Fast alle ursprünglichen Bewohner von Baidoa haben sich nach Mogadischu durchgeschlagen, wo die Hilfslieferungen am größten sind. Die Menschen, die jetzt in Baidoa leben, sind aus den Dörfern gekommen, angelockt von den inzwischen drei bis vier Lebensmittel- und Medikamentenlieferungen am Tag. Täglich sterben in Baidoa nach Angaben von Hilfsorganisationen 25 bis 50 Menschen, in den Buschdörfern einige hundert.

Apathisch schleppt sich ein Zug von mehreren hundert Menschen zur Feldküche des Roten Kreuzes, vorbei an den weißen Steingebäuden aus der italienischen Kolonialzeit. Fast jedes Haus ist von Einschüssen gezeichnet. „Vor dem Bürgerkrieg wurden in Baidoa Hirse und Nüsse für das ganze Land angebaut“, erklärt Mussa Rafael, der einmal in Baidoa für die Umsetzung von Agrarprogrammen verantwortlich war.

Kürzlich kamen von 17 Lastwagen eines Hilfskonvois aus Mogadischu nur sechs Fahrzeuge in Baidoa an, wie die Krankenpflegerin Dorothy St. Germain im einzigen Krankenhaus von Baidoa berichtet. Wegen der Plünderungen erreicht der Großteil der Hilfe die Stadt aus der Luft, obwohl Flüge zehnmal so teuer sind wie Landtransport.

Jeden Morgen liegen auf dem Platz vor der Klinik die Neuankömmlinge. Einige von ihnen haben die Nacht nicht überlebt. Auf der Straße liegen Hunderte von Menschen im Sterben. Von den derzeit rund 100 stationär behandelten Klinikpatienten trafen 98 mit Schußverletzungen ein, sagt der einzige Arzt der Klinik, der Franzose Ron Dierwechter.

Einmal, so Frau St. Germain, kam ein kleiner Junge mit einer Ohrenerkrankung an. Im Gehörkanal wurden Dutzende von Maden entdeckt. „Er gab keinen Mucks von sich“, berichtet die Helferin. „Als wir fertig waren, ging er einfach wieder los.“

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