: SPD werkelt an ihren Grundsätzen
Klausurtagung am Wochenende soll das matte Bild der Partei aufpolieren/ Bundeswehreinsätze und Asylrecht stehen auf der Tagesordnung/ Geschäftsführer Blessing erwartet Rezession zur Wahl ■ Von Mathias Geis
Berlin (taz) — Eine „Koordinierungsgruppe“ aus fünfzehn sozialdemokratischen Spitzenpolitikern aus Partei und Fraktion arbeitet seit dem gestrigen Abend auf einer Klausurtagung in Bonn am Entwurf für ein „Sofortprogramm“. Möglichst sofort soll damit das eher diffuse Erscheinungsbild der Partei in zentralen innenpolitischen Fragen zugunsten einer präziseren Kursbestimmung korrigiert werden. Dabei richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Asylpolitik sowie die Frage nach einer deutschen Beteiligung an UNO- Einsätzen, obwohl der Parteiführung eher daran gelegen wäre, endlich mit ihren finanz- und wirtschaftspolitischen Vorstellungen zur „Vollendung der deutschen Einheit“ in die Offensive zu kommen. Doch der Krieg im ehemaligen Jugoslawien und die Debatte über die außenpolitische Rolle der Bundesrepublik setzen ebenso konträre Prioritäten wie der von Regierung und Koalition erfolgreich beschworene Handlungsdruck in Sachen Asyl.
Die Idee für eine aktuelle Bündelung sozialdemokratischer Positionen geht zurück auf die gescheiterte Gesprächsrunde zwischen Regierungskoalition und SPD im Frühsommer. Angesichts einer desolat wirkenden Regierung wollte sich die SPD nach dem erfolglosen Kooperationsversuch mit einem „vorläufigen Regierungsprogramm“ als überzeugende Alternative präsentieren. Von dem ambitionierten Titel ist man inzwischen wieder abgekommen — „nicht etwa“, so Bundesgeschäftsführer Karlheinz Blessing, „weil die SPD nicht regieren wollte“, sondern „um den Begriff nicht vorzeitig zu verbrauchen“. Immerhin, so räumt auch Blessing ein, sei es der Regierung mit Rühe, Kinkel und der außenpolitischen Debatte gelungen, von ihrer innenpolitischen Konzeptionslosigkeit abzulenken. Daß die Klausurtagung zur Vorbereitung der Regierungsübernahme mittlerweile doch eher zu einer aktuellen „Krisensitzung“ degeneriert sein könnte, verneint Blessing entschieden.
Dennoch, in der Asylfrage zeigt die SPD Wirkung. Auf ein „bloßes Herumdoktern am Artikel 16“ wird sie sich zwar auch nach der Tagung auf dem Bonner Petersberg kaum einlassen; doch der bisherige Parteiratsbeschluß — Grundgesetzänderung nur im Rahmen einer europäischen Harmonisierung — wackelt. Blessing wie die Parteisprecherin Cornelie Sonntag lassen durchblicken, daß möglicherweise auch die Koordination mit „drei, vier EG- Partnern“ ausreiche um einer Ergänzung des Grundgesetzes zuzustimmen. Allerdings — so der Bundesgeschäftsführer — setzte dies eine „Regelung aller Zuwanderungsströme“ voraus.
Gefragt sei ein „Integrationskonzept“. Gesucht wird eine „Gesamtlösung“ für politisch Verfolgte, Kriegs- und Armutsflüchtlinge, sowie deutschstämmige Aussiedler. Damit will die SPD die weitverbreiteten Vorbehalte gegen eine Grundgesetzänderung in den eigenen Reihen auflösen und zugleich, so Blessing, „aus der Defensive herauskommen, in die wir ums zum Teil selbst manövriert haben“.
Auch in der Außenpolitik gab es schon im Vorfeld der Klausur einige Nuancierungen. Zwar steht der Bremer Parteitagsbeschluß, der den künftigen Einsatz der Bundeswehr außerhalb der Nato-Verpflichtungen auf UNO-Blauhelmeinsätze beschränkt wissen will. Doch unter dem Druck der aktuellen Debatte hat Parteichef Engholm durchblicken lassen, daß eine Veränderung des Bremer Beschlusses im Rahmen des SPD-Möglichen liegen könnte. Doch bislang gilt die grundlegende Reform der UNO als unabdingbare Voraussetzung.
Wie schlägt man da den Bogen zur Einheitspolitik? — „Die Bundesregierung wird sich täuschen, wenn sie glaubt die Wahlen 94 auf dem außenpolitischen Feld gewinnen zu können.“ Blessing prognostiziert „gedämpftes Wachstum, möglicherweise Rezession, Massenarbeitslosigkeit und im Osten kein Lichtblick“. Dann werde eben nicht mehr über deutsche Blauhelme diskutiert. Sondern? — Vielleicht ja über die wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Lösungsvorschläge des SPD- Sofortprogramms.
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