: Müll-Exportchampion ohne Markt
■ Frankreich will nicht mehr Müllschlucker der Deutschen sein. Die Möglichkeit zur billigen Entsorgung im Nachbarland hatte den Mülltourismus angetrieben, damit soll jetzt Schluß sein. Der Müllstopp stellt...
Müll-Exportchampion ohne Markt Frankreich will nicht mehr Müllschlucker der Deutschen sein. Die Möglichkeit zur billigen Entsorgung im Nachbarland hatte den Mülltourismus angetrieben, damit soll jetzt Schluß sein. Der Müllstopp stellt einige Städte und Landkreise vor akute Probleme. Ulm und Heidelberg können ihren Abfall nur noch eine Woche zwischenlagern und rufen ihre BürgerInnen zum Müllsparen auf.
„Ich war immer der Meinung, daß unterbevölkerte Länder in Afrika enorm unterverschmutzt sind, ihre Luftqualität ist verschwenderisch gut im Vergleich zu Los Angeles oder Mexiko-Stadt. Ich denke, die ökonomische Logik hinter der Deponierung von Giftmüll in Niedrigstlohnländern ist unschlagbar.“ (Lawrence Summers, Chefökonom der Weltbank)
Es klingt zynisch, aber rein ökonomisch gesprochen hat Summers mit seinem Theorem recht. Wenn durch Giftmüll ein Quadratmeter Nadelwald in den Vogesen für immer verseucht wird, ist nach der herrschenden Ökonomie ein Wert von wenigen Pfennigen dahin, der Verkaufswert des Quadratmeters. Wenn ein Quadratmeter an der Berliner Friedrichstraße für immer verloren geht, sind das 15.000 oder 20.000 Mark Schaden. Dieser Logik folgen die Müllexporte weltweit, und der deutsch-französische Müllskandal der vergangenen Woche stellt nur einen winzigen Ausschnitt des Problems dar. Die Bundesrepublik produziert im Jahr 250 Millionen Tonnen Müll, davon 31 Millionen Tonnen Hausmüll und 10 Millionen Tonnen Giftmüll. Der Rest stammt aus dem Bergbau, ist Bauschutt oder Industriemüll.
Gleichzeitig exportiert die BRD offiziell rund 1,1 Millionen Tonnen Haus- und Giftmüll. Die Deutschen sind damit Exportweltmeister. Bis Ende der achtziger Jahre gingen jährlich rund 600.000 Tonnen Giftmüll zu unseren Brüdern und Schwestern im östlichen Teil des Landes. Die konnten sich damals bekanntlich nicht wehren, ihre Regierung kassierte dafür. Es ist aber auch nicht bekannt, daß die verantwortlichen Politiker und Manager im Westen von besonderen Skrupeln geplagt waren.
Westdeutscher Hausmüll landet heute zumeist direkt hinter der Grenze, Giftmüll wird in alle Welt verschifft. Je teurer die Entsorgung zu Hause, desto weiter können die fliegenden Holländer mit der tödlichen Fracht fahren — es lohnt sich immer noch. Auf der Liste für deutsche Müllgeschäfte stehen Länder von Ägypten bis Sambia. Der Frachter Hetermaa zum Beispiel verließ Ende April mit giftigem Filterstaub aus den Hamburger Stahlwerken den Hafen der Hansestadt Richtung Türkei. Im türkischen Zielhafen wurde das Schiff abgewiesen, eine Odyssee begann. Die nächsten Stationen der tödlichen Fracht waren Odessa (Ukraine) und Batani an der georgischen Schwarzmeerküste. Jedesmal sagten die Hafenbehörden nein. Nach Angaben des Greenpeace-Giftmüllexperten Andreas Bernstorff ist das Schiff jetzt auf dem Nachhauseweg. Der Skandal aber, so Bernstorff, liege eigentlich in Hamburg. Ihm sei absolut unverständlich, wie die Hamburger Hafenbehörden die Verschiffung der giftigen Fracht erlauben konnten. Im vergangenen Jahr waren allein im Hamburger Hafen 804 Fälle von Müllschieberei aufgeflogen.
Europas Müllschlucker ist Frankreich
Der wichtigste Müllschlucker Westeuropas war in den vergangenen Jahren Frankreich. Die Bundesrepublik exportiert jährlich rund 700.000 Tonnen Hausmüll über die Westgrenze, hinzu kamen 1990 noch einmal 150.000 Tonnen Giftmüll. 45.000 Tonnen Giftmüll wandern nach Greenpeace-Recherchen aus Belgien ins südliche Nachbarland und 35.000 Tonnen aus den Niederlanden. Die Logik der Müllexporte ist die gleiche, wie bei Weltbankökonom Summers. Die sogenannte Entsorgung von Giftmüll in Frankreich kostet mit durchschnittlich 300 Mark je Tonne nur ein Sechstel des Preises für eine ordnungsgemäße Entsorgung in Deutschland. Gleichzeitig sind die erlaubten Grenzwerte für Schwermetall und Staub, die aus den französischen Schornsteinen quellen dürfen, sechsmal höher.
Die ökonomische Logik war auch für Hausmüllexporte bis zum Importstopp durch die französische Regierung unschlagbar: Die Transportwege nach Frankreich sind relativ kurz, 500.000 Tonnen Hausmüll kommen allein aus dem nahegelegen Baden-Württemberg. Eine Tonne Hausmüll zu entsorgen kostet in Frankreich häufig unter 50 Mark, in Deutschland mehr als 150 Mark. Politisch wird der Mülltourismus westdeutscher Stadtväter aber immer umstrittener. Selbst der Europäische Gerichtshof stellte kürzlich in einem Urteil fest, es sei Sache jeder Gemeinde und Region, das Abfallproblem zu Hause zu lösen. Der Transport von Abfällen sei „soweit wie möglich einzuschränken“.
Vor unmittelbaren Problemen stehen nach der französischen Entscheidung deutsche Stadtväter und -mütter: Heidelberg bringt nach Greenpeace-Recherchen seit 1987 jährlich bis zu 65.000 Tonnen Müll nach Frankreich. Der Landkreis Breisgau liefert ähnlich viel, und der Stadtkreis Ulm bringt 70.000 Tonnen deutschen Wohlstandsabfall nach Lothringen. In Heidelberg und Ulm reichten die Zwischenlagerkapazitäten nach dem französischen Importstopp gestern maximal noch für eine Woche. Verzweifelte Kommunalpolitiker riefen in Ulm die Bürger auf, Abfall einzusparen. Firmen sollten ihren Müll zunächst auf dem eigenen Hof sammeln. Das Umweltministerium in Stuttgart geht davon aus, daß der Müll in anderen Landkreisen untergebracht wird.
Der Rhein-Neckar-Kreis und der Lankreis Esslingen schaffen jährlich rund 150.000 Tonnen Müll nach Frankreich. Die Esslinger aber haben Glück im Unglück. Müll der direkt in die Verbrennung geht, kann die französische Grenze weiter passieren. Esslingen karrt nach Greenpeace-Recherchen immerhin 50.000 Tonnen jährlich in eine Verbrennungsanlage jenseits des Rheins.
Töpfer kann nichts tun
Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) wollte sich gestern bei seiner Pariser Kollegin Segolene Royal für „ein paar Erleichterungen“ einsetzen. Rechtlich kann er nichts tun. Den Importstopp habe man kommen sehen, das französische Umweltministerium hatte schon im Dezember 1991 einen solchen Stopp angekündigt. Verantwortlich seien im Müllbereich aber die Bundesländer, schimpft man in Bonn. „Wir können schließlich keine Entsorgungsanlagen bauen“, so Töpfers Sprecher Berthold Goeke. Der Minister weiß genau, daß der Tanz erst beginnt: Auch Briten, Belgier und Niederländer drängen in der EG auf einen völligen Stopp des Hausmüllexports. Das Prinzip des freien Warenverkehrs könne für Müll nicht gelten, so Royal gestern. Sie habe nur einer europäischen Regelung vorgegriffen.
Im bayerischen Neu-Ulm sind die Stadtväter genauso auf ihre Frankreich-Connection angewiesen wie in Baden. Landkreis und Stadt Neu- Ulm exportieren zum relativ hohen Preis von 280 Mark pro Tonne Hausmüll auf eine private Deponie nach Toulouse. Der Zweckverband Kempten am Bodensee hat im vergangenen Jahr Bayerns Umweltminister Peter Gauweiler (CSU) eine Sondergenehmigung für den Export von 60.000 Tonnen Hausmüll nach Frankreich abgerungen, weil die Deponie und die Verbrennungskapazitäten erschöpft waren.
Das bayerische Beispiel demonstriert den zweiten Vorteil, den die französischen Kippen für deutsche Lokalpolitiker bieten. Während in der Bundesrepublik die meisten Kippen und Müllverbrennungsanlagen unter kommunaler Verwaltung stehen und es in Verwaltungen und bei den Bürgern Widerstände gegen die Entsorgung von fremdem Müll gibt, werden die französischen Müllkippen privat betrieben. Der Besitzer hat ein ausgeprägtes Interesse an einer möglichst hohen Auslastung und ist dafür auch bereit, Müll aus ferneren Weltregionen anzunehmen.
Diese Art von Geschäftssinn ist nicht nur Grundlage für das florierende Müllgeschäft mit den Kommunen, sondern auch für Giftmüllexporte der deutschen Industrie. Greenpeace hat in einer Studie 51 Müllexport-Projekte nach Frankreich aufgelistet. Mindestens zwanzigmal ist seit Ende der achtziger Jahre westdeutscher Giftmüll nach Frankreich geschafft worden, zum Teil mit mehrjährigen Verträgen. Asche aus Müllverbrennungsanlagen in Stuttgart und Düsseldorf wanderte genauso auf französische Deponien wie Altöl aus dem Saarland oder Autoschredderabfälle aus Heidelberg.
Stillgeschweigend geduldet, wenn nicht gefödert, wird diese Praxis von der EG. Die Euro-Bürokraten sehen den Hausmülltourismus ungern. Beim Giftmüll haben sie aber gerade die Regierung des belgischen Walloniens gezwungen, den gefährlichen Dreck aus anderen EG- Staaten zu akzeptieren. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg beschied den Wallonen auf Antrag der EG-Kommission, sie könnten kein grundsätzliches Verbot gegen fremden Giftmüll aussprechen. Begründung: In einer entsprechenden EG- Richtlinie sei eine umfassende Regelung für den Transport von Giftmüll über EG-Grenzen geschaffen worden. „Die betroffenen Behörden können Einwände erheben und somit eine bestimmte Verbringung gefährlicher Abfälle verbieten.“ Die Regelung lasse aber keine Möglichkeit für den Mitgliedsstaat zu, „die Verbringung gefährlicher Abfälle gänzlich zu verbieten“. Hermann-Josef Tenhagen
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