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"Herzlich willkommen in Leipz... äh Dresden

■ Jetten innerhalb Deutschlands: eines der letzten großen Abenteuer/ Von wegen grenzenlos frei über den Wolken

Pünktlich auf die Minute — 8.07 Uhr — setzt sich im Hauptbahnhof Aachen die Regionalschnellbahn (RSB) 3163 in Bewegung. Nieselregen fällt aufs säuberlich aufgegliederte Land, bedeckt die Flachbauten von Gewerbeparks und die mit Grünkübeln verkehrsberuhigten Wohnstraßen. Die Regionalschnellbahn hält an jedem Briefkasten. Ab Erkelenz füllt sich der Zug mit Pendlern, Zeitungen werden aufgeblättert. Gesprochen wird nicht. In Reydt kommt die Sonne raus. Langer Aufenthalt in Mönchengladbach. Sind wir noch pünktlich? Um 9.18 Uhr trifft die RSB im Düsseldorfer Hauptbahnhof ein. Zwei Minuten Verspätung. Zehn Minuten später sitze ich in der S-Bahn zum Flughafen.

9.41 Uhr.Der Zug hält im Bahnhof unter Düsseldorfs Airport. Bis jetzt läuft alles nach Plan. Ins Terminal führt eine Rolltreppe, ein häßlich weiß gekachelter Tunnel, wieder eine Rolltreppe. Zur Lufthansa geht's rechtsrum. Die Dame im blauen Kostüm schüttelt bedauernd den Kopf: Die Maschine nach Leipzig ist gerade weg. Der nächste Flug nach Dresden geht erst wieder um 15.25 Uhr. Der Flug mit dem „Nürnberger Flugdienst“ — Kürzel: NS — um 12.50 Uhr nach Dresden ist ausgebucht. Also umplanen mit umsteigen: ab Düsseldorf 10.50 Uhr, an Frankfurt 11.50 Uhr, ab Frankfurt 13.00 Uhr, an Dresden 14.10 Uhr. Macht, summa summarum, 362 Mark für die Business Class. (Wer mit Lufthansa innerhalb Deutschlands eine einfache Strecke bucht, kann nicht zum Economy-, sondern muß zum Business- Class-Tarif fliegen; d. Red.)

10.50 Uhr.Grenzenlos frei über den Wolken? Nein, LH 203 sei „leider verspätet“, und ich sitze am Abfluggate fest. Der Flieger aus Frankfurt ist noch nicht einmal eingetroffen. Dafür ist der Gate- Service für seine Abfallvermeidung hitverdächtig: die Wurst- und Käse-Brötchen in Plastiktüten, Joghurt und Kaffee in Kunststoffbechern, und für alles zusammen nochmal eine Plastiktüte mit Früchtedesign drauf.

11.00 Uhr.Unsere Maschine aus Frankfurt dockt an. Plastik verstopft die Abfalleimer. Die Krawatten-Männer mit ihren Manager-Köfferchen in der Hand machen sich startbereit.

11.20 Uhr.Im Flugzeug. Eine alte Boeing 727 bringt uns nach Frankfurt; im Flugplan war ein Airbus angekündigt. Die Business Class ist nur zu einem Drittel belegt. Was sich in der Economy tut, erfahre ich nicht, denn ein Vorhang grenzt die Geschäftswelt von der „Holzklasse“ ab. Mein Platz, 15A, befindet sich am Notausgang.

11.30 Uhr.Flug LH 203 steht auf dem Rollfeld rum. Das Kabinenpersonal rasselt die Sicherheitsempfehlungen runter.

11.33 Uhr.Wir rollen bis zur Startbahn. Da steht schon ein Jet der British Airways mit angelassenen Triebwerken, der vor uns drankommt.

11.37 Uhr.Vorrollen um 20 Meter. Die Flugzeit, gibt der Kapitän über Mikrophon durch, betrage 34, möglicherweise aber auch 45 Minuten. Flughafen Rhein-Main ist bekannt für sein verstautes Luftkreuz.

11.40 Uhr.Wir heben ab. Nach zehn Sekunden rumpeln die Räder ein, eine Minute später ist LH 203 in den Wolken verschwunden. Nach vier Minuten verlöscht das Zeichen zum Angurten „Fasten Seatbelts“, und ein männlicher Krawattenträger begibt sich — ohne Köfferchen — eiligst nach hinten Richtung Waschraum.

12.20 Uhr.„Die Lufthansa leistet selbst einen bedeutenden volkswirtschaftlichen Beitrag als Arbeit- und Auftraggeber: Bereits der innerdeutsche Luftverkehr bewirkt durch die Arbeitszeitersparnis für den Geschäftsreisenden einen hohen wirtschaftlichen Nutzen“, lese ich. Kann es kaum glauben, denn wir drehen uns seit geraumer Zeit im Kreis, immer rechtsrum. In Frankfurt ist der Luftraum überfüllt, meldet Kapitän Wisskopp. Unter den Krawattenmännern in der Business Class macht sich Nervosität bemerkbar. „Wir wissen, daß Sie um ihre Anschlußflüge besorgt sind ...“, sucht die Stewardeß per Lautsprecher zu trösten und empfiehlt: „Wenden Sie sich nach der Landung sofort an das Lufthansa-Personal.“

12.30 Uhr.„Fasten Seatbelts“ leuchtet auf. Noch eine halbe Stunde bis zum Abflug nach Dresden. Durch die Wolkenfetzen sind weiß gestrichene Einfamilienhäuser zu sehen.

12.50 Uhr.LH 203 steht mit rund 40 eiligen, schon im Gang lauernden Geschäftsmenschen seit fünf Minuten auf dem Rollfeld. Die Türen sind geöffnet. „Mir fehlen die Worte“, so beginnt die Durchsage des Piloten. Er findet sie dann doch. Die Flughafen-Gesellschaft habe vergessen, einen Bus zu schicken. Matte Proteste aus dem Gangbereich. In zehn Minuten geht das Flugzeug nach Dresden. An den Kabinenfenstern rollen Flugzeuge aus aller Welt vorbei.

13.00 Uhr.Der Bus kommt, und mit ihm das große Drängeln. Strategisch günstig stehe ich direkt an der Tür. Wir fahren zum Terminal A, Gott sei Dank. Dort soll auf Position 25 LH 308 nach Dresden stehen. Wenn die Maschine noch steht. Um fünf nach eins springt die Tür auf; ich renne ins Terminal. Die Rolltreppe ist defekt, ausgerechnet. Im Flughafengebäude großer Betrieb. Wo ist A 25? Da, die Sicherheitskontrolle, mit einer Riesenschlange davor. Vordrängeln, Abtasten, Handgepäck aufs Band. Nichts wie weg. Bei A 25 ist es vollständig leer. Ich renne zur Fluggastbrücke. „Wollen Sie etwa noch nach Dresden?“ fragt entgeistert eine blonde Dame in Blau. Ich nicke. Und als letzter kriege ich die Boeing 737. Hinter mir wird die Tür geschlossen, und das Flugpersonal beginnt, die Sicherheitshinweise runterzurattern.

13.12 Uhr.„Wir könnten jetzt starten“, meldet sich der Pilot. „Aber leider ist jetzt der Mittagsknoten, und vor uns sind noch elf andere Maschinen dran.“ In 15 Minuten, macht er uns Mut, würden immerhin die Motoren angelassen.

13.25 Uhr.Wir rollen, vorbei an Singapore Airlines, Northwest, Iberia, Continental, Lufthansa. Aber leider stehen vor uns an der Startbahn auch noch einige Malev, Delta und wieder Lufthansa. Wir stehen wieder.

13.35 Uhr.Start und Verschwinden in den Wolken. Der Kapitän entschuldigt sich für die Verspätung und verspricht die Landung in 40 Minuten.

14.00 Uhr.Mein Nachbar — schütteres Haar, Goldbrille — hat auf dem Mittelsitz einen Zahlenschloßkoffer, einen Pilotenkoffer und seinen Mantel ausgebreitet und liestBild.Ich muß mal raus, aber wie? Das Flugzeug wackelt. „Fasten Seatbelts“ leuchtet auf, und der Copilot kündigt ein Schlechtwettergebiet an. Dann eben nicht.

14.16 Uhr.„Willkommen in Leipz ... äh Dresden!“ Die Maschine rollt zur Abstellposition. Um 14.26 Uhr betreten wir mit 16 Minuten Verspätung sächsischen Boden. 27 Minuten später geht der Schnellzug nach Görlitz. Ein Flughafenbus ist nirgends zu sehen. Also ein Taxi. Der Fahrer redet mit mir; es ist heute das erste persönliche Wort an mich: „Sie haben's wohl sehr eilig?“ Ob er es in 15 Minuten bis zum Bahnhof Dresden-Neustadt schaffe? Er wackelt bedenklich mit dem Kopf. Und gibt Gas.

14.52 Uhr.Ankunft am Bahnhof. Keine Schlange am Fahrkartenschalter, Sachsen sei Dank! Um 14.53 Uhr steige ich in den auf Gleis 2 wartenden Schnellzug. Nach zehn Sekunden geht's los.

16.15 Uhr.Der D 1855 der Deutschen Reichsbahn hat keine Eile. Er rumpelt über die unverschweißten Gleise, vorbei an Baustellen für den Aufschwung Ost. An den Bahnübergängen schauen die Schrankenwärter interessiert aus dem Fenster, als sei die Durchfahrt des Zuges für sie ein interessantes Ereignis. In Löbau verlassen eine Mutter mit ihrem zehnjährigen Jungen und eine schweigsame 50jährige Frau das Abteil. In diesem Ort steht auch ein mächtiges graues Gebäude der VEB Malzfabrik. An der Fassade hängen große neue Schilder: Wohnwelt Möbelzentrum. Das sieht sehr schön aus.

16.44 Uhr.Mit 16 Minuten Verspätung trifft der Zug nach 102 Kilometern Fahrt in Görlitz ein. In der rußgeschwärzten Bahnhofshalle, einem Relikt aus dem 19. Jahrhundert, hallt die Stimme der Bahnstewards: „Alles aussteigen. Der eingefahrene Zug endet hier!“ Meine Reise auch. Klaus Hillenbrand

Gesamtreisezeit8 Stunden und 37 Minuten, davon Bahn 2 Stunden und 15 Minuten, reine Flugzeit 1 Stunde und 46 Minuten. Warten: 4 Stunden und 36 Minuten.

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