: IG Metall droht mit „heißem Herbst“
■ Die Debatte um Arbeitszeitverlängerung und Lohnabschlüsse geht weiter
Berlin (taz) — 40-Stunden-Woche, Karenztage, Öffnungsklauseln, Investivlohn, Einheitsfinanzierung, Rezession, Inflation, Altschulden, Länderfinanzausgleich, Spitzensteuersatz und Lambsdorffs Papiere — die Debatte ums fehlende Geld und die Frage, wer denn dafür bluten solle, ging auch am Wochenende munter weiter.
Bundesfinanzminister Theo Waigel rief die Arbeitnehmer zu Bescheidenheit in den kommenden Tarifrunden auf. Wenn es nicht gelinge, die deutsche Wirtschaft durch die Senkung der Lohnstückkosten wieder flottzumachen, müßten „alle die Zeche bezahlen“, sagte der CSU-Politiker. Waigel plädierte dafür, einen Teil der Bezüge vor allem der ostdeutschen Arbeitnehmer als Investivlohn zu verwenden. Im Interesse von Konjunktur, Arbeitsplätzen und Zinsen sollten die Lohnabschlüsse 1993 bei plus „etwa drei Prozent“ liegen.
Die IG Metall drohte angesichts der Diskussion um die Rücknahme von Arbeitszeitverkürzungen mit einem „heißen Herbst“. Sie reagierte damit auf Berichte, nach denen der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Dieter Kirchner, die vertraglich vereinbarte Einführung der 36-Stunden- Woche in der Metallindustrie in Frage gestellt hat. Gegen Einkommensverzichte von Arbeitnehmern als Beitrag zur wirtschaftlichen Stabilität von Unternehmen sprach sich der DGB-Chef von Nordrhein-Westfalen, Dieter Mahlberg, aus. Auch Bundesarbeitsminister Blüm erklärte eine Wiedereinführung der 40-Stunden-Woche als unsinnig. Statt dessen verlangte er, auch den Samstag als Arbeitstag zu nutzen: „Die 40-Stunden-Woche bringt nur wenig mehr, wenn gleichzeitig die Maschinen am Samstag stillstehen und rosten.“
Ohne eine Annäherung wurden am Freitag die Tarifverhandlungen zwischen der Gewerkschaft ÖTV und dem Lufthansa-Vorstand auf den 26. August 1992 vertagt. Bei den Gesprächen geht es um einen möglichen Lohnverzicht, um die marode Fluglinie vor dem Sturzflug zu bewahren. Bevor nicht klar sei, wie die für nächstes Jahr anvisierte Umsatzsteigerung um 500 Millionen Mark und die in gleichem Umfang geplante Reduzierung der Sachkosten zu erreichen sind, könne über etwaige tarifliche Einschnitte beim Personal nicht vernünftig verhandelt werden, betonte ÖTV-Verhandlungsführer Manfred Maertzke.
Nach Ansicht des Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, Bernd Seite, brauchen die neuen Länder künftig jährlich 100 Milliarden Mark für den Aufbau. Das entspreche 3,6 Prozent vom Bruttosozialprodukt. Wenn bestimmte Programme über die nächsten 10 bis 15 Jahre nicht aufgelegt würden, „werden wir nicht in der Lage sein, die anstehenden Aufgaben zu erfüllen“. Zugleich forderte Seite die Streichung der auf dem Wohnungsbestand in Ostdeutschland lastenden Altschulden. Andernfalls könne die notwendige Sanierung und Modernisierung nicht bezahlt werden.
Der FDP-Vorsitzende Otto Graf Lambsdorff ist am Wochenende mit seiner Forderung nach Umbau des Sozialsystems auf Grundeis gestoßen. Bundesarbeitsminister Norbert Blüm warnte Lambsdorff vor „sozialer Demontage“, CSU-Chef Theo Waigel nannte ihn einen „Sommerloch-Entertainer“. Kritik gab es auch von der Berliner FDP und den Jungen Liberalen. „Die Sozialpolitik sei keine Spielwiese für Heilsbringer der sozialen Beglückung“, meinte Arbeitsminister Blüm zu den Ideen Lambsdorffs. klh
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