Der Affe Gottes

■ Wie Schimpanse Charly einmal zum Tode verurteilt wurde: Karl Fruchtmann macht einen neuen Film

Der Scheiterhaufen ist schon aufgeschichtet im Studio 3, und Charly hockt noch versonnen und rupft an seiner Porreestange. Am Schminkspiegel in der Ecke ist sein Richter in ein rougewangiges Lächeln versunken; ehe der Verteidiger nicht mit Schweiß besprüht ist, kann's nicht losgehn. Gegenüber die Kirchenwand mit ihren gotischen Fenstern liegt in hellem Licht, der Beleuchter gibt noch ein paar Lux zu, dann betritt mit Lächeln Karl Fruchtmann die Szene: „Also, ihr Lieben!“

Und bald zieht ein bunter Haufe vorbei an der Kamera: Gaukler, Radschläger, Feuerschlucker, hinterher eine Menge Volkes und Pompgestalten in ihren Ornaten: Kein Wunder, der Affe hat in eine Kirche gepißt und eine Magd beim Umziehen überrascht; so hat man ihm den Prozeß gemacht nach allen Regeln, das Todesurteil lautet auf Gotteslästerung und Unzucht. Aus dem düstersten Mittelalter, in welchem tatsächlich viele Tiere der Gerichtsbarkeit verfielen, hat Karl Fruchtmann, der Filmemacher, seinen neuen Stoff hervorgeholt. Seit zwei Wochen wird nun Der Affe Gottes gedreht bei Radio Bremen, und Charly, der Schimpanse, findet immer mehr Gefallen an seiner Berufung.

Im ganzen Land hat Fruchtmann

hierhin bitte

den Affen

Charly mit Drehbuch

nach einem Affen von ausreichender Gemütlichkeit gefahndet, bis er endlich, in einem kleinen Zirkus nahe Verden, Charly fand, den sechzehnjährigen Menschenfreund, der mit drei Monaten seine Mutter verlor und bei der Zirkusfamilie Frank aufwuchs. Im Studio sitzt Bill Frank, sein Stiefvater, und schaut nach dem Rechten. Im Zweifelsfall aber könnte er, ein großmächtiger Kerl, den Kleinen nicht halten: Drei bis vier Männer, schätzt er, wären nötig, falls Charly es auf irgendwas anlegte. Aber solange es dem Affen an Porreestangen nicht mangelt, solange man ihm literweise Cola beschafft und andererseits etwaige Bananen, weil er sie nicht leiden kann, von ihm fernhält, solange ist Charly ein beflissener Hauptdarsteller. Abends nimmt ihn Bill Frank wieder mit nach Verden; anfangs wohnte er in seinem alten Schlafwagen beim Sender auf dem Gelände, aber das Leben aus dem Koffer ihm keineswegs gefallen; „der ist stinksauer geworden“, sagt Bill Frank, „als er merkte, daß wir ihn hier alleine zurücklassen.“

Mit im Aufgebot: allerlei schwerwiegende Namen. Den Verteidiger macht Nicolas Brieger, die Magd spielt Franziska Walser, genau, auch eine Tochter von dem; als Richter erleben wir unsern gewesenen Theaterintendanten Arno Wüstenhöfer, und als Priester gar den volkstümlichen Dichter Heinrich Schmidt-Barrien. Am 9. Dezember soll die Tragikomödie gesendet werden, um 20.15 Uhr im Ersten.

Vorher aber müssen noch, inzwischen zum fünften Mal, die Volksmassen allegro con moto an der Kamera vorbei, aber Fruchtmann holt aus den Tiefen seiner Seele immer neue Freundlichkeiten und hat genug für alle dabei; er ist seinem Volk ein umsichtiger Gastgeber. Wo er dreht, faßt selbst das kleinste Komparsenmäuschen auf einmal großen Mut, und abgefeimte Profis werden wieder scheu. Schon 77 Jahre ist Fruchtmann alt und macht immer noch enorme Filme mit dem Mittel der Begütigung.

Jetzt war wieder der Akrobat zu spät, dafür der Krummhornist zu laut. Also von vorn; aber selbst beim Take Six gibt der Feuerschlucker, wenn die Kamera ihn längst aus den Augen hat, noch ein paar Tricks extra. Wer will sich lumpen lassen bei einem Fruchtmann? Höchstens einem Charly muß man minimale Arglist zutrauen, wie er so gleichmütig sitzt, aber doch, wenn niemand hinschaut, in das dschungulöse Scheinwerferdickicht über sich späht.

Aber die lange Leine wird im Zweifelsfall halten, und Charly wird am Abend wieder in seinen Schlafwagen zurückkehren, wo sein Liebchen ihn schon erwartet: Weil er wahrhaftig alt genug ist, ist jetzt eine Schimpansin mit Einwilligung der Franks zu ihm gezogen; keine Gleichaltrige, „da würde er austicken“, sagt Bill Frank. Sein Mädchen ist vier Jahre alt, „und Charly zieht es sich selber groß.“

Im Film der Affe Gottes kommt am Ende gerade noch davon: Der Bote des Königs sprengt heran und bringt den Begnadigungserlaß. So nett wäre Kafka nicht gewesen; aber was hat der Affe auch schon vom geretteten Pelz? Jetzt darf er zurück ins Possenreißerdasein, und alles was ihm Ehre macht, ist der Vorwurf der Unzucht, der selbstverständlich gegen ihn bestehen bleibt: gegen das vielleicht doch nicht restlos domestizierte Tier, gegen den undurchschaubaren Rivalen bei den Mägden. Manfred Dworschak