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UN-Einsatz gegen deutschen Rassismus

■ Berlin will nicht »überproportional viele« Asylbewerber aufnehmen/ Demonstration gegen Gewalt und staatliche Untätigkeit

Berlin/Rostock. Auch in Berlin beeilen sich politisch Verantwortliche, die rassistischen Übergriffe in Rostock mit der wachsenden Zahl der Asylbewerber zu rechtfertigen. Das Zögern von SPD und FDP, sich auf den Boden der Realitäten zu stellen, verbittere nicht nur zusehends die Bevölkerung, sondern leiste auch »der Zunahme des politischen Extremismus Vorschub«, erklärte CDU- Generalsekretär Karl-Joachim Kierey zu den Vorfällen. Innenstaatssekretär Armin Jäger beeilte sich zu versichern, daß derartige Übergriffe in der Hauptstadt mit einer »stramm rechtsstaatlich« ausgerichteten Polizei nicht möglich seien. In Rostock hätten die Rechtsradikalen »das Arsenal der linken Autonomen übernommen«. So erschreckend die »klammheimliche Freude« der Schaulustigen sei, so Jäger, werde sich nichts ändern, bis das »Problem der Wirtschaftsflüchtlinge« politisch gelöst sei. Daß »die Opfer jetzt auch noch zu Schuldigen werden«, kritisierte gestern Eckhardt Barthel, ausländerpolitischer Sprecher der SPD, die Äußerungen des Koalitionspartners. Es sei »menschlich zu verstehen«, wenn künftig verstärkt Asylbewerber aus Mecklenburg-Vorpommern nach Berlin kämen, weil sie sich hier sicherer fühlten. Letztendlich müsse ihr Schutz aber auf Bundesebene gewährleistet werden. Daß Berlin »nicht überproportional« Asylbewerber aufnehmen könne, sagte auch Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) gestern zur taz. Angesichts der schwierigen Wohn- und Lebenssituation mit ständig wachsenden Obdachlosenzahlen sei eine stärkere Auslastung nicht hinnehmbar. »Ich kann mich nicht dem Vorwurf aussetzen, daß die Stadt Berlin mehr aufnimmt, als ihr eigentlich zugedacht ist.« Dennoch bedaure sie, daß auch ihre Partei sich auf die Debatte um die Änderung des Artikels 16 einzulassen scheine.

Gegen die Instrumentalisierung der Übergriffe durch die CDU wandte sich auch die FDP. »Die faschistischen Wirrköpfe werden den gestrigen Abend und die immer lauter werdenden Rufe nach einer Änderung der Ausländer- und Asylpolitik als Erfolg werten«, so deren ausländerpolitischer Sprecher Thomas Seerig.

Bei Flüchtlingsgruppen und Beratungsstellen laufen derweil die Telefone heiß. Die 20 bis 30 in Rostock festgenommenen Berliner Gegendemonstranten seien wieder auf freiem Fuß, sagte ein Mitglied der autonomen Flüchtlingsgruppen zur taz. Für das Wochenende werde erneut nach Rostock mobilisiert. Am Sonnabend rufen Antifa-Gruppen dort zu einer Demo unter dem Motto »Stoppt die Pogrome« auf. Für heute um 17.30 Uhr rufen die Grünen/AL gemeinsam mit SOS- Rassismus und anderen Gruppen zur Demonstration gegen Ausländerfeindlichkeit auf dem Breitscheidplatz auf.

Der Aufruf macht Regierung und Opposition für die rassistische Randale mitverantwortlich. »Die Arbeitsteilung greift zwischen denen, die Mollis werfen, und denen, die in Luxushotels über dem Rhein eine Änderung des Asylrechts beschließen.« Demonstriert werden soll auch gegen »organisierte Untätigkeit und Unfähigkeit« sowie »gegen staatliche Inszenierungen zur Abschaffung des Asylrechts«.

Die Zentrale Beratungsstelle für Flüchtlinge will außerdem Strafanzeige gegen den mecklenburgischen Innenminister Lothar Kupfer (CDU), Ministerpräsidenten Berndt Seite (CDU) sowie gegen den Rostocker Polizeichef erstatten: wegen Volksverhetzung, unterlassener Hilfeleistung und Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Auch der AStA der Freien Universität will Anzeige gegen diverse Verantwortliche in Polizei, Feuerwehr und Ministerien erstatten — unter anderem wegen Mittäterschaft an vielfach versuchtem Mord. Der AStA der TU regte einen »UN-Einsatz gegen Rassismus ohne Beteiligung der Bundeswehr« an — angesichts der »Hilflosigkeit« der Sicherheitskräfte.

Kontakt zu den angegriffenen Vietnamesen in Rostock hatte die Vereinigung der Vietnamesen in Berlin gestern noch nicht aufgenommen. Auch bei der Beratungsstelle für Vietnamesen hatte sich noch niemand gemeldet. Nguyen van Huong, Mitarbeiter der Ausländerbeauftragten, rechnet damit, daß einige seiner Landsleute unterwegs sind und hier um Aufnahme bitten werden. jgo

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