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Liquidität statt Liquidation

■ Die IG Farben in Abwicklung verhindert seit 40 Jahren erfolgreich ihre Selbstauflösung/ Zur Hauptversammlung in Frankfurt protestierten gestern ehemalige KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter

Frankfurt/Main (taz) — Viele Ostdeutsche wären froh, nähme sich die Treuhand ein solches Abwicklungsmodell zum Vorbild. Der ehemalige Nazikonzern IG Farben hat die Verpflichtung, sich selbst zu liquidieren, seit nunmehr vier Jahrzehnten erfolgreich verschoben und dabei kräftige Gewinne gemacht. Doch damit nicht genug: Seit der Wiedervereinigung kämpft der ehemalige Zyklon- B-Produzent, bei dem sich während der Nazizeit Tausende von Zwangsarbeitern zu Tode schufteten, nun auch noch um die Rückgabe seines in Ostdeutschland enteigneten Vermögens. Mit der endgültigen Abwicklung, so scheint es, wollen sich die IG-Farben-Liquidatoren und Aktionäre noch viel Zeit lassen.

Während der Nazizeit war der Konzern das größte deutsche Unternehmen und erfreute sich des Wohlwollens der braunen Machthaber. Mindestens 25.000 Menschen kamen durch die Zwangsarbeit bei IG Farben um, und 30.000 Menschen waren im konzerneigenen KZ inhaftiert. Nach dem Krieg hatten die Alliierten den Konzern, der in Deutschland fast die gesamte Chemieindustrie beherrschte, in Einzelteile zerschlagen und zwecks endgültiger Liquidierung die IG Farbenindustrie Aktiengesellschaft in Abwicklung (i.A.) gegründet. Die sollte das Restvermögen verwalten und „Schadensersatzleistungen an die durch die Aktivitäten des Kartells geschädigten Personengruppen“ erbringen. In den 50er Jahren wurden jedoch lediglich 30 Millionen Mark als Wiedergutmachung gezahlt. Darüber hinaus wies die IG Farben Entschädigungsforderungen Tausender ehemaliger ZwangsarbeiterInnen zurück — bis heute.

Und obwohl sich das Unternehmen bereits in den 50er Jahren hätte auflösen müssen, existiert es bis heute.

So begann denn gestern in Frankfurt — wie seit Jahren — auch die diesjährige Aktionärsversammlung mit Protesten ehemaliger Auschwitz-Häftlinge. „Schämt euch“ riefen rund 20 DemonstrantInnen den AktionärInnen und dem Liquidator Ernst-Joachim Bartels zu, der zusammen mit Liquidator Günter Vollmann als Vorstand fungiert. Auf Transparenten erinnerten sie an die Millionen Menschen, die in den Konzentrationslagern mit dem IG-Farben-Produkt „Zyklon B“ vergast wurden, und verurteilten die Versammlung als „Verhöhnung der Opfer“. Sie erinnerten an die Zusage aus dem Vorjahr, einen Entschädigungsfonds aus Gewinnen der IG Farben i.A. einzurichten. Dieses Versprechen ist bis heute nicht eingelöst worden, obwohl sich der Abwicklungsüberschuß des Unternehmens mittlerweile auf 159,5 Millionen Mark summiert hat. Allein im letzten Jahr erwirtschaftete die IG Farben i.A. einen Bilanzgewinn von 20,2 Millionen Mark.

Ginge es nach den Liquidatoren, tagte man in Frankfurt ganz im stillen. Doch es ist nicht nur der unangenehme Anblick ehemaliger KZ- Häftlinge, der den Gang zur Versammlung für IG-Farben-Manager und -AktionärInnen zum Spießrutenlauf werden läßt. Als hinderlich erweist sich der Protest auch für zukünftige Geschäftsvorhaben des Konzerns. Denn mit einer verzögerten Abwicklung der IG Farben geben sich die Langzeit-Liqidatoren inzwischen längst nicht mehr zufrieden.

Nur Tage nach der Wiedervereinigung vom 3. Oktober 1990 meldeten sie Entschädigungsansprüche auf nach 1945 von den Sowjets enteignete Anlagen und Grundstücke bei den ostdeutschen Chemiewerken in Leuna und Buna an — der Aktienkurs der Firma schnellte hoch. Zwar erklärte das Bundesverfassungsgericht Enteignungen während der sowjetischen Besatzungszeit von 1945 bis 1949 für rechtens, doch bei der IG Farben nahm man das nicht so einfach hin. Mit juristischen Spitzfindigkeiten soll erst einmal weiter prozessiert werden, um doch noch ein hübsches Entschädigungssümmchen einzustreichen. Nebeneffekt des Rechtsstreites, der sich wahrscheinlich über Jahre hinziehen wird: Solange nichts entschieden ist, setzen auch die IG-Farben-Buchhalter keinen endgültigen Schlußstrich unter ihre Bilanzen.

Die Liquidatoren des ehemaligen Nazikonzerns können unterdessen ihren Geschäften nachgehen: So wurden etwa ehemals zum Unternehmen gehörende Firmen zurückgekauft, mittels derer die IG Farben neue Entschädigungsansprüche auf enteignetes Vermögen geltend machen will. Ein Großteil des Abwicklungs-Überschusses von 159,5 Millionen bringt, angelegt in Wertpapieren, weiteren Gewinn. Zudem wollen die Liquidatoren in Bauvorhoben in Ostdeutschland investieren. Denn nur so besteht die Möglichkeit, die enteigneten Grundstücke zurückzubekommen. Damit allerdings rückt das Ziel der Abwicklung in noch weitere Ferne. Die IG Farben bleiben auf dem Weg zum erfolgreichen Großunternehmen nach dem Motto: Liquidität statt Liquidation. Keno Verseck

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